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Fakten zur Aufführung 

SCHICKLGRUBER, ALIAS ADOLF HITLER
(Neville Tranter)
20. Mai 2003

RuhrTriennale
(Jahrhunderthalle, Bochum)

Points of Honor                      

Musik

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Gesang

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Regie

Bühne

Publikum

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Puppentheater als Welttheater

Das Figurentheater der Nationen FIDENA eröffnete sein Festival im Rahmen der RuhrTriennale mit "Schicklgruber, alias Adolf Hitler", einer Produktion von Neville Tranters Stuffed Puppet Theatre (NL).

Es ist der 20. April 1945 und bei Wolfi, dem Geburtstagskind, sind Goebbels, Fräulein Eva, Göring sowie die sechs Goebbels-Kinder und der Tod zu Gast. Auf der Bühne, karg gestaltet durch drei Betonplattenwände und geschickte Lichtregie, entsteht sofort bedrückendes Bunker-Ambiente. Da kann auch die riesige Geburtstagstorte für Hitler nichts mehr rausreißen. Das Ende ist nahe und der Tod namens Yellow scheitert zwar darin, die Gäste als schriller Varieté-Künstler zu unterhalten, lässt sich aber davon die prächtige Party-Laune nicht verderben.

Tranter, hier in der Doppelfunktion als Puppenspieler und zugleich als Hitlers "Ober-Zimmerführer" Heinz Linger, führt seine Puppen meisterhaft. Ein wahrhaft gruseliges Endzeit-Kabinett jammert, flucht, lügt und trinkt sich dem Untergang entgegen. Fräulein Eva, immer etwas angeschickert, fiebert dem Hochzeitstag mit Wolfi entgegen. Mit feinem Gespür für Stimmung und Timing trägt sie unterm weißen Schleier und dem roten Rosen-Haarkranz ein schwarzes Kleid. Mit Goebbels eint sie die Sucht nach Zigaretten, naturgemäß ein grober Verstoß gegen die Hausordnung. Der Propagandaminister hingegen richtet alle seine Hoffnung auf eine letzte große Rede, die Hitler halten soll - dann würde schon alles noch irgendwie werden, ein Endsieg doch möglich sein.

Bestechend auch die Figur des jungen Helmut Goebbels, der mit kindlicher Ernsthaftigkeit die versprochene heiße Schokolade einklagt - nicht ahnend, dass sie der Giftbecher sein wird. Und mitten in diesem Wahnwitz der Führer, der außer einem Wutanfall über die unsensible Bestückung seiner Torte mit nur einer Kerze und gelegentlicher Befragung der Sternenkonstellation, nur mehr eine lethargische Jammerfigur abgibt. Das Monster als brüllendes Männlein und apathischer Irrer. Großartig ein letzter Party-Dialog zwischen dem Tod "Yellow" und seinem Meisterschüler, bevor Hitler sich die Kugel und dem Tod gibt, was des Todes ist.

Tranters Genialität als Puppenspieler besteht in der Kunst, seine Figuren karrikaturhaft zu überformen und sie dennoch zu lebendigen, ernst zu nehmenden Charakteren zu erwecken - selbst die schrecklichsten Figuren der Geschichte luchsen dem Publikum Mitgefühl ab. Seine Genialität als (Mit-)Autor ist eine wahrhaft Bernhardsche: Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Auf jeden Fall: Virtuoses Puppentheater, Welttheater! (cr)


Foto: © Kleine Spui Produkties