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Fakten zur Aufführung 

AUTLAND
(Beate Baron, Sergej Newski, Justyna Jaszczuk, Johannes Ockeghem)
8. Oktober 2009
(Uraufführung 2. Oktober 2009)

Jahrhunderthalle Bochum
RuhrTriennale


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Schönheit im Chaos

Ein Dröhnen, Hämmern, Pochen umfängt den dunklen Raum – rabiat schrill, kaum hörbar klopfend, dann wieder enervierend monoton - die Zuhörer sitzen auf Drehhockern auf einer riesigen Scheibe im dunklen Raum, können den suggestiven Geräuschen und Klängen nicht ausweichen, werden eins mit Klang und Raum - am Rand tauchen Gestalten auf, Sprechstimmen wecken Aufmerksamkeit, bleiben unverständlich, gleiten über in Vokalisen, geheimnisvollen Gesang – es entsteht ein Faszinosum von komplexen Tönen: solo gesungen, in Gruppen aus dem Publikum entstehend, am Rand präsent.

Beate Baron, Sergej Newski und Justyna Jaszczuk entwickeln ein hermetisches Erleben autistischer Existenz: scheinbar sinnleere Texte, eruptive Ausbrüche, Wechsel von Aggressivität zu Resignation, Insistieren auf stupiden Positionen - ein Abbild unbegriffener Wirklichkeit.

Alles dies verworren-konsistente Artikulieren, Singen, Sprechen findet bei aller Kakophonie entlastende Ruhepunkte: Johannes Ockeghems Kanon Deo gratias für 36 Stimmen.

Titus Engel leitet das musikalische Geschehen inmitten des Publikums äußerst konzentriert, steuert Musik und Gesang mit bewundernswerter Souveränität und gibt dem großartigen Vocalensemble Kassel mit ihren variantenreich artikulierenden Solisten sowie den inspirierend intonierenden Sänger-Darstellern des VocaalLab Nederland die erforderlichen Hilfen zu einer Konsistenz im „chaotisch-autistischen“ Tohuwabohu.

Beate Baron gelingt ein imaginatives Zusammenspiel von Chor, Sängern und integriertem Publikum – mit viel Bewegung und exaltierter Darstellung – ohne in plakative Situationen abzugleiten.

Im quasi mit-betroffenen Publikum machen sich zwei Deutungen des Geschehens breit: Zum einen, sich im Innern eines deformierten autistischen Hirns zu befinden und das subjektive Reagieren über Bewegungen, Töne, Musik und Gesang nachvollziehen zu können; zum anderen, das szenische Geschehen und die musikalischen, sängerischen Klänge als Metapher des information-overkills einzuordnen - chaotischer Umgang mit den Folgen der „Reizüberflutung“ gleichermaßen.

Doch bei aller kommunikativen Strittigkeit der „tieferen Bedeutung“ - van Ockeghems Kanon Deo Gratias wird in der imaginativen Interpretation der Chöre zu einem Klang-Erlebnis von nachgerade überirdischer Schönheit!

Im Publikum macht sich sehr schnell intensive Identifikation breit – allerdings wird nicht klar, ob die gut anderthalbstündige Performance einer manisch mit einem gefalteten Papierblatt wedelnden Blondine zur Inszenierung gehört; auf alle Fälle beherrscht konzentriertes Sehen und Hören die so ungewöhnliche Szene, steigert sich am Schluss zu Standing Ovations - und zu großem Respekt für das RuhrTriennale-Experiment!

Franz R. Stuke

 








 
Fotos: Michael Kneffel