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Fakten zur Aufführung 

MOSES UND ARON
Arnold Schönberg
22. August 2009 (Premiere)

Jahrhunderthalle BochumRuhrTriennale


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Der Beginn der Kultur

Arnold Schönbergs radikal-philosophische Auseinandersetzung mit den Anfängen menschlicher Zivilisation von 1932 gehört zu den Jahrhundertwerken wie die Romane Marcel Prousts, wie die Bilder Picassos, die Filme Eisensteins und die Plastiken Lehmbrucks. Immer geht es um die Suche nach der Grundlegung menschlicher Existenz, um die Divergenz von Idee und Ausdruck – um Kommunikation als Mittel des permanenten Versuchs der Überwindung des Antagonismus von Individuum und Gesellschaft, aufgehoben in metaphysischen Dimensionen.

Willy Deckers Inszenierung überzeugt durch intensivste Durchdringung der aufgeworfenen existentiellen Menschheitsfragen, stellt die Mittel von Oper, Oratorium, Konzert und Choreografie in den Dienst am kaum formulierbaren Gedanken - realisiert den „Gegenstand“ in kongenialen Formen musiktheatraler Kommunikation. Moses als Seher, Aron als Kommunikator, das „Volk“ wie ein Schwarm: ausufernd, kollektiv geballt, Einzelne hervortretend, ständig in Bewegung, in den Reaktionen unkalkulierbar, aber immer „autonom“ im Agieren, Objekt der Bemühungen von Moses und Aron, aber immer auch unbewusst-selbstbestimmter Organismus.

Wolfgang Gussmann stellt zwei steil ansteigende, gegenüber positionierte Zuschauer-Tribünen in die grandiose Industrie-Architektur der Jahrhunderthalle (der „Kathedrale der Arbeit“), versetzt das Orchester seitlich, schafft durch Fahrten der Tribünen eine variable Spielfläche, lässt einen transparenten „Käfig“ auf das Volk absenken – vermittelt mit dramatisch-sensibler Langsamkeit Entstehen, Faszination und Desaster epochaler Paradigmen. Johannes Grebert entwickelt bildkräftige Videos, die ihren Schwarz-Weiß-Strukturen Musik und szenisches Geschehen intensivieren.

Schönbergs genial entwickelte Zwölftonfolgen mit Klängen, die immer wieder aus der Stille kommen, sich in raffinierten Intervallen steigern, die menschlichen Stimmen verstärken und konterkarieren, werden von den minutiös-perfekten Bochumer Symphonikern hinreißend imaginativ realisiert. Michael Boder leitet subtil, akzentuiert die Instrumentengruppen, lässt vor allem dem vorzüglichen Schlagzeugern Gelegenheiten zu bravourösen Passagen.

Dale Duesing - der so verdienstvolle Bariton! – übernimmt die Sprechrolle des Moses, beeindruckt durch animiert-interpretierendes Spiel – und gibt dem „wortlosen“ Religionsstifter stimmliche Statur mit ambivalenter Ausdruckskraft; man fühlt sich erinnert an große Stars des Sprechtheaters. Andreas Conrad gelingt mit klarem Tenor und stupender Klang-Genauigkeit ein Aron als persuasivem Kommunikator – eine spektakuläre Leistung, ganz im Dienst der so komplexen Botschaft. Die Mitglieder des ChorWerks Ruhr imponieren sowohl darstellerisch als stimmlich: Zu großen Teilen im Publikum platziert, sind die Herausforderungen groß: Jede Bewegung, jede Einzelstimme ist nah zu erleben; die Choristen bestehen diese Herausforderung mit Bravour!

Das Publikum ist bei der Inauguration der RuhrTriennale durchsetzt mit „Promis“ – viele von ihnen offensichtlich urteilssichere Kenner; die Atmosphäre ist ausgesprochen konzentriert, entspricht den hohen Rezeptions-Anforderungen von Musik, Text und szenischer Handlung. Man fragt sich, weshalb da einige Möchtegern-Großkritiker permanent ihre Zettel vollkritzeln, als ob sie in der Redaktion am Newsdesk hocken - mal abgesehen vom unprofessionellen Tun: das Hantieren mit Block und Kuli nervt und stört!

Die RuhrTriennale feiert einen grandiosen Erfolg der Decker-Intendanz, findet offensichtlich zurück in die konzeptionell begründete Mortier-Ära!

Franz R. Stuke

 








 
Fotos: © Paul Leclaire