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Fakten zur Aufführung 

IPHIGENIE EN TAURIDE
(Christoph Willibald Gluck)
12. Februar 2011 (Premiere)

Theater Bielefeld


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Rache, Schicksal, Opfer...

Getrieben vom Rachegedanken, von aufgeladener Schuld, im Zwiespalt zwischen Mitleid und Pflicht - völlig vorhersehbar und mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks geraten die Figuren aus Glucks Iphigénie en Tauride in die Fänge eines unbarmherzigen Schicksals, das alle in den Strudel der Vernichtung treibt.
Christoph Willibald Gluck erzählt diesen Teil der Atriden-Sage völlig schnörkellos und geradeaus - im Fokus immer die auftretenden Grundkonflikte. Diesem Grundgedanken spürt Michael Schulz fein nach. Ausstatterin Kathrin-Susann Brose baut einen archaisch wirkenden, von hohen Betonmauern eingefassten Raum mit einer leicht schrägen Ebene. Die ist gleichzeitig Tafel für die ständig anwesenden Götter wie Opferfläche des Tempels. Während die Fäden ziehenden Unsichtbaren tafeln, erfreuen sie sich am Blut der Opfer – ein sehr gelungenes Bild für die eigentlich unschuldig Handelnden, die dennoch soghaft in ihr Verderben gerissen werden.
In dieser tristen Welt hadern sie alle mit ihrem Schicksal: König Thoas, der an den Fäden eines todverheißenden Götterspruchs hängt und deshalb zum Schlächter und Blutvergießer wird. Orest, der seinen Vater rächt, muss deshalb seine Mutter morden und Pylades, der einzig wirklich unschuldig Hineingezogene, der sein Leben geben will für den Freund Orest. Schließlich Iphigenie, die aus Loyalität zu Thoas gezwungen werden soll, ihren Bruder zu opfern.
Das alles macht Michael Schulz auf einfache Weise deutlich. Über große Strecken hinweg sind sämtliche Handelnden auf der Bühne präsent, alle hadern mit ihrem Gewissen. Hier leiden Menschen an ihren Konflikten, fast ferngesteuert und in gewissem Maße auch autistisch. Berührend sind die Opfervorbereitungen, das Reinigen des Bodens, das Tauchen der Hände der Priesterinnen in Blut.
Das Ende, das Michael Schulz seiner Iphigénie en Tauride gibt, ist ein streng aus der Handlung abgeleitetes. Iphigenie opfert den König, um ihren Bruder zu retten. Orest wird von der Göttin Diana entführt. Und zurück bleibt Iphigenie - verstrickt in Konflikte, die sie nicht lösen kann, bestimmt sie sich selbst zum Opfer. Das ist einfach zwingend.
Neben dem Regieteam hat der Erfolg dieser Gluck-Deutung einen weiteren Namen: Melanie Kreuter in der Titelpartie. Eigentlich ist diese Atriden-Prinzessin nicht ihr Fach, aber Kreuter schafft diese Herausforderung. In ein simples, schwarzes Kleid gehüllt, holt sie mit ihrem mit unzähligen Farben ausgestatteten Sopran alles aus der Partitur heraus: mal leidet sie still, mal begehrt sie wild auf. Kreuter vermag die ganze Bandbreite zwischen Fatalismus und Hoffnung stimmlich zu evozieren und auch darzustellen. Anrührend wie sie sich am Ende fast zärtlich mit Blut übergießt. Nur im Tod wird sie Frieden finden.
Hochkarätig auch die anderen Solisten: Daniel Billings als gequälter Thoas, Thomas Berau als Muttermörder Orest und Eric Laporte als opferbereiter Pylades. Als Göttin Diana macht auch Sarah Kuffner eine gute Figur.
Ein großes Lob geht an den Damenchor (Hagen Enke), der als Priesterinnenensemble eine formidable, geschlossene Leistung bot.
Alexander Kalajdzic probiert mit den Bielefelder Philharmonikern einen Klang, den man inzwischen gern mit „historisch informiert“ umschreibt: Verzicht auf Streichervibrato – es sei denn, es dient als Ausdrucksmittel. Blasinstrumente mit schlanker Tongebung kommen zum Einsatz, zügige Tempi werden gewählt. Für ein „ganz normales“ Orchester, das gestern noch Verdi auf den Pulten stehen hatte und übermorgen im Sinfoniekonzert vielleicht Mahler und Strawinski spielt, ist dieser Gluck eine beachtliche Leistung. Nicht ganz diesem Ansatz entspricht der Gesang auf der Bühne, der nicht dezidiert „historisch“ wirkt.
Die im Bielefelder Publikum oft so vorherrschende Aversion gegen Theaterblut, das in dieser Inszenierung reichlich fließt, wundert schon etwas, und die Frage darf schon gestellt werden, warum man sich dann überhaupt ein Stück ansieht, von dem jeder vorher weiß, dass es Blut und Pein nur so atmet.

Christoph Schulte im Walde

 











 Fotos: © Matthias Stutte