Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ORPHEUS UND EURYDIKE
(Christoph Willibald Gluck)
27. Januar 2006 (Premiere)

Theater Bielefeld

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Tickets

(0521) 51 54 54

 

zurück       Leserbrief

Orpheus in der Postmoderne oder vom Sinn des Korrepetitors beim Tanz

Verwunderlich wie sehr Glucks Reformoper auch für Tanzreformen einsteht: Schon der berühmte Tanzmeister der Uraufführung in Wien, Gaspero Angiolini, war ambitioniert, die Glucksche Dramatisierungsästhetik auf das Ballett hin zu erweitern. Die Urmutter vom modernen Freien Tanz, Isodora Duncan, beschreibt in ihren Memoiren, wie tief sie dieser Orpheusmusik in ihrem Körper nachlauschte – für einen seelisch wahren Ausdruck.

Und auch eine Pina Bausch gebar in ihren Wuppertaler Gluck-Inszenierungen 1974/75, der Iphigenie und des Orpheus, einen ganz eigenen tanztheatralen Stil. Sie nannte das bewusst „Tanz-Oper“, auch um sich abzugrenzen von Ballettinterpretationen aus der Zeit. Nun legt sich Gregor Zöllig, neuer Bielefelder Tanztheaterchef, den Orpheus-Mythos zum zweiten Mal nach 2002 vor. Diesmal in der geschlossenen Form Oper, eben auch als Tanz-Oper.

Darin hatte Bausch in ihrer zweiten Produktion die szenische Verknüpfung von Tänzerinnen und Sängerinnen entworfen. Und auch Zöllig macht sich auf, die beiden Grundweisen musikalischen Selbstausdrucks in ein szenisches Unisono zu bringen, für beide Formen ihren Schmelzpunkt zu finden, um Synästhesien hervorströmen zu lassen. Das gelingt zum Teil auch zwingend, indem zu Beginn die vier Tanzorpheuse immer wieder zu Boden gehen, sich dort drehen, Beinschläge, aus. So beschleunigt Zöllig tänzerisch die Musik und schwört ein auf Gluck, sorgt mit einem enormen Kraftaufwand seitens der Tänzer für eine szenische Verdichtung der ewigen Orpheusklage.

Auch die öffnenden Tanzbewegungen zur Furienbesänftigung verschaffen eine Stimmung von Umkehr. Und Zöllig findet sogar die schwierige Übersetzung hin zur Natur: Seine in fein nuanciertem dunkelblauem Stoff eingekleideten Tänzerinnen kommen rückwärtsgewandt mit sich eindrehenden Kniebewegungen seitlich hinein, das zivilisationsfernste Körperteil am Höchsten: Oh, welch blaue Himmel! Anmutig auch die Pas de deux zu ihrem Duett, die von dem ewigen Hin und Her in Beziehungen berichten. Schließlich dürfen die fünf Eurydiken sich dann auch, ähnlich wie bei Bausch, rückwärtsgebogen mit hoch gestreckten Armen in die ewige Schattenwelt hinfort bewegen.

Zöllig macht also eigentlich erst einmal das, was fast alle machen, wenn sie mal Oper machen: Er macht sehr viel. Und das Entscheidende wird randständig oder gerät allzu banal: Der versuchte Chorgestus meistenteils. Eurydike ist zu kühl-zickig-up to date, versprüht wenig von der thrazischen Urform femininen Eros. Ihr vokaler Einsatz im ersten Akt ist unsinnig, ihr Übergang vom Schattendasein zum Körperlichen fällt mager aus. Die Berührungen zwischen Orpheus und ihr sind nicht genau genug. Wie man überhaupt meint, so manches Ausdrucksdefizit einer Premierenüberspanntheit zuschreiben zu dürfen.

Die Außenbereiche dieser Inszenierung entblößen nicht mehr als Ansichten der gestrigen Postmoderne zu Kunst, Liebe, Tod: Die Platte leiert am Anfang, die Sache ist eigentlich schon vor dem Beginn zu Ende. Der mal eben hinzuerfundene Tod vermittelt stets so einen schwarzen Unernst: Der mit der Rolle überforderte Dirk Kazmierczak wird so zum Abbild dessen, was man dem Tod noch so zugesteht: Falsch aufgeladene Pathosgestik ohne Tiefensinn. Auch Amor ist nur noch eine Liebe: verspielt, witzig, regressiv. Aber ein guter Einstand für Anke Briegel. Die Bühne fasst das Ganze dazu passend in einen ledernd-verhärmten, türreichen Raum mit alter Stallbeleuchtung – Anna Viebrock lässt grüßen. Der Extraraum, der die göttlichen Spielregeln enthält, signalisiert, man habe den Mythos verstanden, dabei aber nicht eingesehen, dass es sich um Bereiche des Vorrationalen, des Vorsprachlichen handelt. Und bildet eben darin auch ein typisch postmodernes Missverständnis.

So zeigen die Bielefelder zwar tänzerischen Vollernst, aber momentan ohne das so entscheidende Gegenwicht auf musikalischer Seite. Die Kapellmeisterin Nordmeyer findet sich nicht vor zu des Ritters Klangschönheit: Vom Klangbild sehr blechlastig, teils antriebsgestört, teils dynamisch nicht trennscharf und insgesamt mit zu wenig Innenspannung. Man vermisst GMD Peter Kuhn eigentlich in jedem, den Strichen entkommenden Takt. Zudem ist der Chor von Hagen Enke schlecht einstudiert: Recht uneinheitlich platzen da Bassstimmen hervor und dynamisch sind die Stimmgruppen längst nicht ausbalanciert.

Das, zusammen mit einem inhaltlich höchst defizitären Programmheft, wirft kein gutes Licht auf diese Produktion. Anders aber die beiden Soprane: Victoria Granlund als grundsolide, in die wenigen Höhen sich mühelos aufschwingende Eurydike. Und der Held des Abends ist eine wahre Heldin: Kaja Plessing singt einen wunderschönen Orpheus – mit galanter Tiefe, geradlinig und stets ausdrucksstark. Ihr Schlussblick, als Fin der Kunst friert sich ein: Zweifel und Trauer liegen darin.

Für die Zukunft sollte man Zöllig zuraten, sich an der Gattung Oper weiter zu versuchen, vielleicht auch noch die Iphigenie zu inszenieren und zu vertanzen. Allerdings wird das nur nach genauerem Studium der Musik in zwingender Weise gelingen, denn Tanz und Oper können nur über sie zusammenkommen, eben zu einer „Azione teatrale per musica“ werden. Isodora Duncan hatte ja eine Mutter zum vorspielen. In Bielefeld muss da gegebenenfalls ein guter Korrepetitor herbei. Das Publikum hielt keinerlei „Buhs“ bereit und war zum Teil richtig begeistert ob der szenischen Vielheit. (wh)


Fotos: © Ursula Kaufmann