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Fakten zur Aufführung 

LAKME
(Leo Delibes )
23. Dezember 2007 (Premiere)

Theater Bielefeld


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Artifiziell-berührende Fremde

Die „Glöckchen-Arie“ ist ein Hit, Leo Delibes ein fast vergessener Komponist aus dem nach-romantischen Frankreich, seine Oper Lakme (1882)– wenn überhaupt – konzertant auf wenigen Bühnen (so auch jetzt in Bielefeld). Dabei ist diese Oper über die unglückliche Begegnung zweier Liebender aus unterschiedlichen Kulturen musikalisch virtuos, verarbeitet Impulse aus der indischen Musik, ohne sie zu adaptieren, arbeitet mit subtilen Wechseln in der Rhythmik, verwendet ungewöhnliche Instrumente (Tambourin, Glockenspiel), ist frappierend melodienreich und vor allem ausdrucksstark und emotional bewegend.

In der hinreißenden Bielefelder konzertanten Version werden diese Vorzüge zu einem außerordentlich bewegenden Erlebnis des Aufeinandertreffens archaischer Liebessehnsucht und kulturell-religiöser Normen – zwar hochartifiziell, aber zugleich voller elementarer Gefühle.

Vor allem Victoria Granlund, als Brahmanenpriester-Tochter Lakme, zieht mit ihrem sowohl koloraturenreich-ziselierten als auch lyrisch bewegenden Gesang die Zuhörer in ihren Bann – auch, weil sie die Emotionalität des Gesangs mit sparsamen Gesten unterstreicht und offensichtlich authentisch die Konflikte der Lakme vermitteln kann! Dagegen der unerbittlich-fundamentale Brahmane Nilakantha, dem Michael Bachtadze mit seinem voluminös-kraftvoll-ausdrucksvollem Bariton hoch bemerkenswerte Statur verleiht. Hector Sandovals britischer Offizier gibt die kulturell-unbekümmerte Liebesleidenschaft mit strahlendem Tenor, vermag im tragischen Finale auch ambivalente Gefühle erschütternd zu artikulieren. Mit Meik Schwalm ist ein kernig-substantieller Frédéric zu hören, dessen Bariton in Volumen und differenzierter Phrasierung höchsten Anforderungen entspricht. Das gesamte Bielefelder Ensemble beeindruckt mit virtuosem Gesang – Dshamilja Kaiser als devote Dienerin Mallika, Christin Mollnar als karikierend-überzeugende Braut Ellen, Dina Rose als Rose – very british -, Aukse Urbanaviciene als rigorose Gouvernante – und der vielerprobte Lassi Partanen gibt dem treuen Diener Hadji lyrisch-strömenden Schmelz. Chor und Extrachor (Hagen Enke) sind stimmlich präsent und relevante Partner der Solisten.

Leo Siberski und die Bielefelder Philharmoniker sind optimal auf die schwierige Aufgabe vorbereitet. Da stimmt die Balance mit den Sängern, da wird beglückend hörbar, welche emotionale Kraft in der Delibes-Musik steckt, da erfüllen die vielbeschäftigten winds (Klarinette, Oboe, Fagott, Flöte) ihre Angebote mit Hingabe und Perfektion, da entsteht ein hochdiffiziler Gesamtklang, der wie eine Referenz für die verkannte Delibes-Musik wirkt.

Dass diese quasi-konzertante Aufführung dann aber auch noch optisch zum Erlebnis wird, ist den Live-Videos von Peer Engelbracht und Stefan Komitsch von der Bochumer Gruppe impulskontrolle zu danken: Diese Avantgardisten der theaterorientierten Videokunst haben bereits mit Matthias Hartmann in Bochum („1979“) und Zürich ihre Kreativität bewiesen; sie verstehen Video als autonome Kunst, nutzen nicht die platten Angebote der Verdoppelung von Text und Musik, sondern „inszenieren“ mit den technisch-gestalterischen Mitteln von Overhead, Foto-Shop und Video-Trick eine metaphernreich-geheimnisvolle Bildwelt mit bisweilen fast psychedelischer Anmutung.

Schade, dass ihr Beitrag weder im Programmheft noch vom Publikum entsprechend gewürdigt wird. Immerhin geht es um die kommunikative und ästhetische Erweiterung des „Gesamtkunstwerks“ Oper!

Die Begeisterung im Bielefelder Publikum ist enorm – am Ende sogar mit standing ovations! Vielleicht kommt das auch bei den theaterfeindlichen Stadtoberen an. (frs)

 




Fotos: Matthias Stutte