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Fakten zur Aufführung 

DER KÖNIG KANDAULES
(Alexander von Zemlinsky)
20. Juni 2010 (Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

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Über das Glück und das Leben

Was ist Glück? Oder besser noch: wie geht man damit verantwortungsvoll um? „Verbergen“, sagt der arme Fischer Gyges, der wenig davon hat - „freigiebig teilen“, sagt der reiche König Kandaules. Wie es sein kann, wenn diese Extreme aufeinander treffen, davon erzählt Alexander Zemlinskys Oper Der König Kandaules nach André Gides gleichnamigem Drama. Der vermeintlich milde König zeigt sich spendabel und teilt sogar seine Frau mit dem Fischer. Allerdings behandelt er sie nicht anders als sein lebloses Besitztum, entwürdigt sie so und provoziert ein Eifersuchts- und Dreiecksdrama, das sich gewaschen hat. Da ist keiner einseitig Opfer oder Täter. Als auch er, der König, dann zum ersten Mal von einem Gefühl wie Eifersucht und Neid gequält wird, ist es zu spät: er hat seine innere Ruhe verloren, irrt halb wahnsinnig durch den Palast – während seine Frau und Gyges sich ihre Leidenschaft füreinander gestehen: Am Ende ermordet der Fischer den König und bekommt Frau und Geld.

Es wird viel geredet in Zemlinskys kaum einmal gespielter Oper, viel über das Glück und das Leben sinniert – erst im dritten Teil kann von Handlung wirklich die Rede sein. In Bielefeld bekommt man eine Ahnung davon, warum Der König Kandaules so selten auf der Bühne zu sehen ist, und das trotz der überaus farbigen Partitur, die das Libretto, das vom Komponisten und seiner Frau stammt, sinnig und oft auch sehr sinnlich unterstreicht.

Um diesen Zemlinsky durchgängig fesselnd auf die Bühne zu bringen, dazu bedarf es einer ganzen Menge inszenatorischer Ideen. Birgit Kronshage und ihre Ausstatterin Marina Hellmann verorten die Handlung in eine Art archaischen Königspalast – vielleicht nach Ägypten oder an den Hof persischer Großkönige. Dieses Nicht-Festlegen auf Ort und Zeit bekommt Zemlinskys Werk gut – gleicht es doch in weiten Teilen einem Märchen.

Was Kronshages Deutung aber vermissen lässt, ist eine wirklich stringente Personenführung. Da wird oft nur das Libretto umgesetzt und es fließt wenig eigene Sichtweise ein. Kronshage schafft es nur selten, das Geschehen statt in beliebigen in aussagekräftigen Bildern zu fokussieren, die Handlung also zu interpretieren. So plätschern gerade die ersten beiden Akte mehr oder weniger vorbei - das furiose Finale kommt ziemlich unvermittelt und wird vor allem durch Zemlinskys höchst emotionale Musik erfahrbar. Und in ihr kommen dann auch die Stärken dieses König Kandaules zum Ausdruck.

Das Bielefelder Ensemble ist in letzten Jahren stets gut aufgestellt und kann deshalb die kleineren Rollen, die Freunde des Königs, perfekt aus den eigenen Reihen besetzen. Dabei ragen Torben Jürgens als Philebos und Meik Schwalm als Phedros hervor. Ihre wunderschönen, ebenmäßigen Stimmen sind ein purer Genuss. Sabine Paßow als Königin Nyssia hat ihre stärksten Szenen in den dramatischen Ausbrüchen. Hier klingt ihre Stimme wie ein lodernder Vulkan. Nicht so recht gelingen will es ihr hingegen, Töne aus dem Piano heraus aufblühen zu lassen. Vor allem in der Höhe wirkt ihr Sopran da leicht stumpf.

Luca Martins Tenor ist in den langen Jahren seiner Zugehörigkeit zum Bielefelder Ensemble sehr gereift, hat an Stabilität und Strahlkraft immer weiter gewonnen. Das kann er jetzt – als Gast zurückgekehrt – in der Titelrolle voll ausspielen. Sein Kandaules ist so mild, so freundlich, aber auch extrem unnachgiebig und aufbrausend.

Der Höhepunkt aber ist die Darstellung des Fischers Gyges durch Alexander Marco-Buhrmester. Wie er dessen Gefühlsverwirrungen gerade im dritten Akt mit verletzlicher, aber durch und durch kerniger Stimme über das brodelnde Orchester legt, ist geradezu meisterhaft. Marco-Buhrmester verlässt zum Ende der Spielzeit das Bielefelder Ensemble nach zehn Jahren und bereitet dem Publikum an diesem Abend ein großes Abschiedsgeschenk. Abschied nimmt auch Generalmusikdirektor Peter Kuhn, der die Zemlinsky-Partitur mit den Bielefelder Philharmonikern lustvoll durchmaß. Da wurden die wechselnden Stimmungen ausgekostet und in den dramatischen Szenen düstere oder auch martialische Klanggewebe aufgetürmt.

Das Bielefelder Premierenpublikum war gerade nach dem berührenden Finale geradezu aus dem Häuschen. Alle Beteiligten wurden mit Beifallsstürmen nur so übergossen – kein einziges Buh mischte sich unter die vielen Bravi. Das war ein schönes Adieu für alle Scheidenden und ein Ansporn, dieses Niveau auch in der kommenden Spielzeit zu halten.

Thomas Hilgemeier












Fotos: Matthias Stutte