Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

GRISELDA
(Alessandro Scarlatti)
5. April 2008 (Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Barocke Qualen - konkret

Alessandro Scarlattis letzte Oper (1721), ein Höhepunkt barocken „Affekten“-Theaters, l’art pour l’art im Dienste artifiziellen Gesangs. Griselda wird vom König verstoßen, der wiederum die gemeinsame Tochter heiraten und seine Frau mit dem intriganten Ottone verkuppeln will, seinem Sohn nach dem Leben trachtet. Und am Ende stellt sich alles als qualvolle Prüfung heraus. Das hat mit der unbeschreiblichen Wucht altgriechischer Mythen wenig zu tun, es geht vielmehr um das konventionelle Zelebrieren musikalischer Effekte.

In Bielefeld deutet Peer Boysen die Bedeutungsebenen an: Abhängigkeit der Frauen, männlichen Machtgestus, inzestuöse Probleme, pädophile Grenzüberschreitungen, Verfügbarkeit der Beziehungen, Beliebigkeit der Promiskuität – aber auch Liebe, Treue, Hoffnung und Glück. Er lässt die Protagonisten permanent sich selbst beobachten, platziert das Orchester auf der Bühne, schafft mit zwei Freizeit assoziierenden Spielflächen mit Gartenstühlen und –bänken eine locker-dämoniefreie Szene, steckt die Protagonisten in Leisure-Kleidung, will auch mit dem Handeln der Personen auf keinen Fall mythische Tragik aufkommen lassen – setzt konsequent auf die eher beiläufige Bedeutungs-Anreicherung der barocken Vorgabe.

Dieses distanzierende Konzept „funktioniert“ mit einem agilen Ensemble, das sich sowohl auf die barocke Gesangsattitüde als auch auf das emotional andeutende Spiel engagiert einlässt: Anke Herrmann beherrscht als unterdrückte Griselda die geforderte Gesangskunst mit Koloraturen, Läufen und stimmlicher Varianz mit Bravour, vermag darüber hinaus elementare Gefühle in allen Registern zu vermitteln. Cornelie Isenbürger beeindruckt mit ihrer beweglich phrasierenden Stimme als unbegriffen begehrte Costanza. Dshamilja Kaiser entwickelt ihren ausdrucksvollen Alt bewundernswert weiter, artikuliert einen abgründig ambivalenten Gualtiero. Susanne Reinhard fasziniert als geil-besitzsüchtiger Ottone, bietet stimmliche Präsenz in aggressiver Klarheit. Florian Mock gibt dem Roberto tenorale Konstanz, hat aber offensichtlich Probleme mit den mörderischen Koloraturen – so wie auch Lassi Partanen als Corrado und Ben Gerlach als Everardo durchaus glaubwürdige Charaktere vermitteln, aber nicht der Idealvorstellung barocken Singens entsprechen.

Die unermüdlich animierende Carolin Nordmeyer kann die routiniert agierenden Bielefelder Philharmoniker nicht aus deren business as usual lösen – spannungslos, nicht perfekt in den Einsätzen, man ist nur auf dem Platz, wenn man gebraucht wird, ohne spürbare Reaktion auf die ungewöhnliche Herausforderung: eine enttäuschende Performance des so oft als brillant erlebten Orchesters.

Im ausverkauften Bielefelder Haus – mit dem supersteilen Rang nach der halbherzigen Renovierung – wird gespannt gefolgt, finden Regie, Bühne und Musik ein dankbares Publikum. Bleibt zu hoffen, dass die kulturell-konservativen Ostwestfalen ihr ambitioniertes Musiktheater endlich akzeptieren! (frs)

 

 






Fotos: Matthias Stutte