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Fakten zur Aufführung 

ERWIN, DAS NATURTALENT
(Mike Swoboda)
26. Januar 2008 (Premiere)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

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Musiktheater-Satire

Eigentlich unvorstellbar: „moderne“ Musik, „modernes“ Musiktheater macht sich selbst zum lustvollen Objekt der Satire – mit Selbstbewusstsein und überzeugtem Witz! Mike Swoboda wirbelt mit Attitüden aktueller Kompositions- und Instrumentierungsprinzipien, setzt sie an auf Volker Kriegels kritische Geschichte von „Erwin mit der Tröte“ und rekurriert auf Tendenzen der ansonsten häufig elitär-inkommensurablen Klangsprache.

In der Bielefelder Fassung des Spiels um die Erfindung des Superstars wird – in Ergänzung zur Uraufführung der Jungen Oper Stuttgart 2005 – eine veränderte Orchestrierung präsentiert und vor allem ein fulminanter Jugendchor eingeführt.

Bielefelds Intendant Michael Heicks inszeniert das satirische Spiel um den selbstvergessen singenden Südsee-Insulaner Erwin, der vom Klangforscher Hoggins entdeckt und von der Agentin Amalia-Bernadette gemanagt wird, als einfühlsame Parodie auf die Tücken des Show-Business. Das gerät selten zur platten Comedy – wenn der Showmaster zur Heck/Rosenthal-Charge wird - , zeigt vielmehr artifiziell verfremdet den Konflikt zwischen Freude am Singen und Kommerzialisierung, zwischen „Star“ und Fans. Kurios-gebrochene Szenen bestimmen das Geschehen, stimulierende Konstellationen provozieren Erwartungen, werden aber intelligent-nachdenkenswert gebrochen. Bravourös die „Massenszenen“ – die Jugendchöre als atmosphärische Traumwelt und als tobende Masse im Zuschauerraum – das sind Regie-Leistungen der Extra-Klasse! So wie auch die Führung der skurril-surrealen Personen Hochachtung verdient.

Sandra Meurers Bühne wird bestimmt durch variable Rundhorizonte, die sich variabel heben und senken, Blicke freigeben und immer neue Ausblicke und Spielflächen schaffen. Christa Belands Kostüme – phantasievolle Imaginationen durchgedrehter Shows und lebendiger Träume.

Die hochkarätigen Sänger des Bielefelder Theaters lassen sich auf die Herausforderungen der Vokalismen mit textfreier Artikulation, mit Sprechgesang, mit perlenden Koloraturen, mit neuen Möglichkeiten der Stimme – Stöhnen, Grunzen, Blubbern – vehement ein, vermitteln Attitüden und Gefühle in höchster Perfektion. Susanne Reinhard als unbegriffen-gemachter Erwin, Meik Schwalm als naiv-unbedachter Klangforscher, Melanie Kreuter als hyperaktive Amalia-Bernadette tragen die Hauptrollen mit intensivem Spiel und virtuos-flexibler Intonation. Dshamilja Kaiser, Florian Mock, Michael Bachtadze, Thomas Wolff und Ulrich Neuweiler geben den vielen „Nebenrollen“ spielentscheidenden Charakter. Sie werden brillant unterstützt durch weitere engagiert singende und agierende Solisten. Die jugendlichen Sänger der Bielefelder Bodelschwingh-, Ursulinen- und Helmholtz-Gymnasien sowie der Universität Bielefeld, der Musical Academy Osnabrück und der Musikhochschule Detmold geben den unterschiedlichen Chören professionell erarbeitete „power“, agieren, intonieren, jubeln und kreischen auf den Punkt genau und schaffen die grundlegende Stimmung für adäquates Erleben!

Muss man bei so vielen engagiert Beteiligten noch nach der Begeisterungsbereitschaft des Publikums fragen?! Da sitzen sie, die „Fans“ der Akteure, da erleben sie den Zauber von Musik, Gesang und Bühne – und begreifen nebenbei sowohl die Mühen der Theaterarbeit als auch die tiefere Bedeutung all dieses Aufwands. Wunderbar!

Die Bielefelder Philharmoniker interpretieren unter dem agil-souveränen Leo Siberski die heterogen-anspielungsreiche Komposition Swobodas – mit dezenten Jazz-, Pop- und Musical-Anleihen, mit Verweisen auf die Opern-Avantgarde à la Sciarrino, Lachenmann oder Henze – sehr kultiviert, verlieren sich nicht in abgehobenem Ästhetizismus, biedern sich aber auch nicht an mit vermeintlicher „Popularität“: Die „neue“ Musik wird in ihrer Bedeutung für das aktuelle Musiktheater erkennbar!

Bielefelds Theater leistet – wie seit Jahren – einen Beitrag zur Zukunft des Musiktheaters – und das auf höchstem künstlerischen Niveau. (frs)

 

 








Fotos: Matthias Stutte