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Fakten zur Aufführung 

DER BAUM DER DIANA
(Vicente Martin y Soler)
(24. November 2007 (Premiere)

Theater Bielefeld


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Mythos und Prolls

Es ist wohl eine Frage der Wahrnehmung: Martin y Solers Oper (1787) handelt vom Kampf der „keuschen“ Diana gegen den sinnenfrohen Amor. Nicholas Broadhurst kontrastiert die Mythen mit real existierenden Figuren. Wenn man diese lässigen Jungs als attraktive Personifizierungen aktuellen Lebensgefühls akzeptiert, entsteht eine anachronistisch-gültige Konfrontation antiker Ideale mit heutigen Lebensformen. Wenn man allerdings diese Typen als abgehängte Prolls mit kaputter Identität versteht, die mit unbegriffenem Selbstbewusstsein ihre rücksichtslose Selbstverwirklichung animalisch ausleben – dann fragt man sich schon nach dem tieferen Sinn der Beziehung zum klassischen Mythos: Ist das die reaktionäre These vom permanenten Verführt-sein-Wollen der Frauen? Ist das ein Bild von der Hoffnungslosigkeit ethischer Bemühungen – und damit Kulturkritik der drastischen Art?

Wie dem auch sei: Unterhaltsam ist der Abend allemal, präsentiert nicht nur mozarteske Musik und virtuosen Gesang sowie malerische Optik – provoziert zumindest beiläufiges Nachdenken.

Die halb von der Natur – teils „real“, teils per Bildschirm – überwucherte spießig karikierte Wohnwelt von Timo Delter nebst den kontrastierenden Kostümen aus der griechischen Mythenwelt und dem Alltags-Outfit von Okarina Peter verstärken diesen ambivalent-provozierenden Eindruck mit optischer Intensität.

Melanie Kreuter singt eine ethisch korrekte Diana mit hinreißender Melodik, lässt aggressiv-kämpferische Töne zu, verzehrt sich in leidenschaftlicher Entsagung und Erwartung – Martin y Solers imaginative Vorgaben werden zu gesanglichen Ereignissen von traumhafter Musikalität. Cornelie Isenbürger fasziniert mit dem oppositionell-libertinen Amor, setzt lustvoll ausgesungene Koloraturen gegen brillante Parlandi und verfügt über eine flexible Stimme mit animierender Emotionalität. Victoria Granlund gibt einer der liebessuchenden Nymphen stimmlichen Glanz -- und Meik Schwalm, Florian Mock und Clemens C. Löschmann verleihen drei „Liebhabern“ komödiantisch attraktive und stimmlich phrasierungsperfekte Statur – die Nähe zum Mozart-Gesang lebt auf und wird emotional animierend vermittelt.

Die Bielefelder Philharmoniker verstehen die so lange vergessene Musik Martin y Solers als musikalische Herausforderung, spielen entsprechend engagiert auf, lassen die Zusammenhänge der populären Musik zu Mozarts Zeiten fast investigativ hörbar werden - doch unter Peter Kuhn klingt dieser Kosmos von Melodien, Harmonien und Rhythmen eigentümlich „akademisch“, uninspiriert, eben nur „interessant“ – und nicht wirklich stimulierend. Damit gelingt allerdings die einfühlsame Sängerbegleitung ausgesprochen sensibel, trägt das virtuose Singen als verstärkende Klangfolie.

Das Bielefelder Premierenpublikum reagiert äußerst positiv, goutiert das spektakulär-kreative Geschehen und genießt die wundervolle Musik. Offenbar feiert auch in Bielefeld das Publikum neue Sichten und sehnt sich nach überraschenden „Events“ – wie schön, und wie kommunikativ überzeugend!
(frs)

 

 


Fotos: Theater Bielefeld