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Fakten zur Aufführung 

DON CARLOS
(Giuseppe Verdi)
19. Februar 2005 (Premiere)

Theater Bielefeld (Oetkerhalle)

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Zerbrochene Charaktere

Der Gekreuzigte schwebt nackt und hilflos über einer Szenerie von waagerechten und senkrechten Stahlrohrgerippen – ein permanentes Memento – wie das Double des ermordeten Posa – für unzerstörte Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Werner Schroeters Regie-Ingenium zeigt Menschen in ihrer Zerbrochenheit, leidend unter der Gewalt des klerikalen Furors. Dabei entstehen in stilisierter Verhaltenheit Szenen von grandioser Ausdruckskraft. Der gesamte Abend ist hinreißend bestimmt durch die Faszination der „Pause“, musikalisch als pointierte Fermaten, auf der Bühne durch abrupte Stopps und emotional bewegenden Tableaus: z.B. Elisabeth und Carlos wie eine Pieta.

Es singt ein Ensemble höchsten Grades, allen voran Alexandre Vassiliev, der dem Philipp eine melancholisch Grundstimmung verleiht, zerbrochen zwischen Resignation und Zynismus, darstellerisch in Brandauer-Manier, sängerisch äußerst schwer intonierend mit differenziertem emotionalen Ausdruck der geschundenen Seele des bedrängten Königs; und Irina Makarova als eitel-bösartige Eboli (ein Pfauenauge als deutliches Zeichen) mit einem unbändig voluminösen Mezzo, der die Akustik des Konzerthauses an die Grenzen bringt – bravourös!

Die Elisabeth Irina Popovas überzeugt durch stimmliche Reinheit, verleiht der liebenden Königin einen vielschichtigen Charakter mit beeindruckenden Nuancen, die sie mit ihrem geschmeidigen Sopran gehaltvoll vermittelt. Ki-Chun Park beweist als zerbrochener Carlos, dass er seinen fulminant-strahlenden Tenor auch gefühlvoll artikulierend beherrscht, und Alexander Marco-Buhrmester ist ein ebenso zwiespältiger Posa, sein fantastisch strömender Bariton bewältigt Pathos, Empathie, Aggressivität mit bewundernswerter Nuancierung.

Dazu: ein brutal klingender Michael Bachtadze als gnadenloser Großinquisitor; Hans Griepentrog als sonorer Mönch – der Stimme Karls; und kraftvoll überzeugende Solisten als Mönche und flandrische Deputierte. Dieses sängerische Niveau ist an keiner anderen Oper zu erreichen – das Zweite Bielefelder Opernwunder eben!

Das Philharmonische Orchester Bielefeld gewinnt unter dem engagierten Peter Kuhn mehr und mehr an Kompetenz: Tempi-Wechsel, differenzierte Instrumentengruppen, emotionale Dynamik, sensible Tongebung, perfekte Balance zu den Sängern und korrespondierende Identität mit dem diffizilen Regiekonzept ergeben einen bewundernswerten Orchesterklang.

Dem traditionell skeptischen ostwestfälischen Publikum ist die Stahlrohr-Bühne zu unrealistisch, die Symbolik der Schroeter-Bilder zu unerwartet, die Verweise auf flämische und spanische Maler zu fremd – dennoch folgt die ausverkaufte Oetkerhalle dem gradlinig-differenzierten Drama mit atemloser Spannung; es gibt enthusiastischen Applaus, der sich aber nicht zum – eigentlich verdienten – kollektiven Rausch steigert. (frs)


Fotos: © Matthias Stutte