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Fakten zur Aufführung 

L'ARMONIA DRAMMATICA
(Vinko Globokar)
15. Juni 2002 (Premiere der deutschen Erstaufführung)

Theater Bielefeld

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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BEDRÄNGEND OHNE SPANNUNG

Modernes Musiktheater wird faszinierend, wenn es nicht um intellektuelle Experimente, sondern um intensive neue Formen des "Kraftwerks der Gefühle" geht - das Publikum ist erwartungsbereit, offen für grundlegend Neues. Vinko Globokar hat im risikobereiten Bielefelder Theater die großartige Chance, sein musikalisch aktionsorientiertes, theoriegeleitetes "Lehrstück" zum Leiden an kollektiver Gewalt realisiert zu erleben. Wie bei Nonos "Intolleranza" und Lachenmanns "Schwefelhölzern" geht es um das qualvolle Leiden des Individuums unter gesellschaftlicher Brutalität - artikuliert durch verstörende Instrumentenklänge, Geräusche, Stimmen, unkonventionelle Töne und unerwartete Musikelemente. "Musik" wird zur politischen Argumentation, ästhetisch umgesetzt und individuell bedrängend erlebbar.

Dirk Kaftan gelingt es mit dem innovationsbereiten Philharmonischen Orchester der Stadt Bielefeld, diese komplexen Intentionen differenziert sinnlich umzusetzen: Bedrohung und Gewalt werden hörbar und geraten über das Ohr in den reflektierenden Prozess des überwältigenden Gefühls.

Doch konzipierte Vinko Globokar ein Miteinander von Musik, Darstellung und Malerei: In Bielefelds Uraufführung versetzt Arial Siegert Solisten, Chöre und Ballett in einen stupenden Furor von Leid und Gewalt: extreme Körperlichkeit wechselt mit invers gerichteter Reflexion. Helge Leiberg malt live per Folienprojektion assoziative Farben und Strukturen auf die Bühne, mit komplexen Techniken und intensivem Assoziationspotential.

Die variable Bühnenarchitektur - Treppen, Kletterwand, drei Ebenen - von Marie-Luise Strandt ist zugleich bedrängender Spielraum und Projektionsfläche der Leiberg-Bilder, die wiederum "flüchtig" sind wie die Musik.

Mit Espen Fegran, Grzegorz Zozicky, Clemens C. Löschmann, Meryl Richardson, Sharon Markovich, Jenny Renate Wicke und der phantastischen Bonita Hyman agieren und singen engagierte Solisten voller Leidenschaft und dokumentieren mit ihrer Leidensfähigkeit die Grundidee des Werks auf beeindruckende Weise. Video-Installationen in den Foyers, Platzierung der Musiker auf den Rängen, der Maler im Parkett: alles zusammen ergibt eine selten erlebte Intensität des Erlebens.

Bei der Premiere überwiegt ein fachkundiges, emotional ansprechbereites internationales Publikum, das allen Beteiligten lang anhaltenden Beifall spendet - während vor dem Theater die Spaßgesellschaft im realen und musikalischen trash versinkt. (frs)


Foto: © Matthias Stutte