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Fakten zur Aufführung 

AMERIKA
(Roman Haubenstock-Ramati)
11. Juli 2004

Theater Bielefeld

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Avancierte Avantgarde

1966 scheiterte Haubenstock-Ramatis avanciert-innovatives Projekt an der Deutschen Oper in Berlin, 1992 gab es eine Revitalisierung in Graz, nun wagt Bielefelds experimentierfreudiges Theater einen neuen - gelungenen - Versuch. Andrej Woron inszeniert im umbaureifen Theater eine Baustelle Amerika, entwickelt ein Kaleidoskop des Amerika-Bilds der 60er Jahre mit beschädigter Freiheitsstatue, Sex-Verklemmtheiten, Indianer-Missachtung, Goldbarren-Transport als Synonym unmoralisches Streben nach Reichtum. Er orientiert sich eher an Kafkas Amerika-Bild, verzichtet klug auf plumpe Aktualisierungen, überlässt die Erkenntnisse dem Publikum. Ein Meisterstück!

Musikalisch kommt Peter Kuhn mit dem kompetenten Philharmonischen Orchester der Stadt Bielefeld sowohl direkt als auch in zugespielten Passagen mit den kompositorisch-diffizilen Angeboten gut zurecht. Die Klangregie Peter Böhms ist daher entscheidend, das Vokalensemble NOVA Wien unterstützt diese erfolgreichen Bemühungen für ein sinnliches Erleben.

Die musikalische Avantgarde des Experimentierens mit neuen Formen der Oper erlebt eine aufregende Wiederbelebung. Keine lineare Handlung, Verabschiedung von harmonisch-kollektiven Orchesterklängen, stattdessen Fragmente von Kafka-Texten und eine faszinierende Mischung von sirrenden Streichern, tickenden Percussions, explosiven Bläsern, allesamt Cluster vermittelnd, zusammengesetzt aus Live-Orchesterklängen, zugespielten Passagen und Ergänzenden Stimmen und Geräuschen. Das alles bei extrem hohem technischen Aufwand!

Die Sänger-Darstellerinnen identifizieren sich mit ihren Rollen und beherrschen den hochartifiziellen Sprechgesang (man denke an Schönbergs Pierrot Lunaire) perfekt, lassen "Typen" lebendig werden. Hervorzuheben: Clemens Löschmann als "Opfer" Rossmann, Melanie Krenter als Baby-Doll-Brunelda, Michael Bachtadze als gieriger "Heizer", Mathias Schaletzky als kommentierender Pollunder; das Bielefelder Ensemble beweist Kompetenz in der intensiven Umsetzung spröder musikalischer Substanz.

Bei der hochkarätigen Aufführung ist das Haus bei der letzten Premiere vor der zweijährigen Umbauphase von Besuchern aus der europäischen Szene besetzt. Anwesende Ostwestfalen nörgeln während der Aufführung, lassen auch nach Jahrzehnten avancierten Musiktheaters kein emotionales "Pro" erkennen. Bielefeld wird demnächst auf spektakuläre Inszenierungen verzichten; die konservative Ratsmehrheit legt das Musiktheater mit seinen überregionalen Potenzen lahm. Es ist zum Erbarmen! (frs)






Fotos: © Matthias Stutte