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Fakten zur Aufführung 

FALSTAFF
(Giuseppe Verdi)
11. Oktober 2009
(Premiere 4. Oktober 2009)

Theater Bielefeld


Points of Honor                      

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Der „Cavaliere“

„Ehre ist nur ein Wort“ dekretiert der Cavaliere; „es gibt keine Tugend mehr“ bemitleidet sich der Cavaliere; „mach weiter, Old John“ ermuntert sich der Cavaliere; „die ganze Welt ist eine Posse“ resümiert der Cavaliere - und das alles in einem Museum mit Pizza-Bude, verdunkelnden Bildern, am Ende verprügelt von spinnweben-behangenen Museumswärtern in einer zugemüllten Szene: Wer denkt da nicht an den ehrvergessenen, egomanischen, unbelehrbaren, zynischen Cavaliere von heute in Verdis verehrtem Italia?!

Nicholas Broadhurst verzichtet in seiner quirligen Inszenierung auf „belehrende“ Aktualisierung, lässt den scheinbar jovialen Falstaff aber als selbstgerechtes Fossil erscheinen, als Ignoranten kultureller Werte, als machistischen Patriarchen, als sexistisches Monster, als „Verderber“ einer ohnehin moralisch zerbröselnden Gesellschaft. Er geht auf die ungeheure Lebendigkeit der Verdi-Musik ein, scheucht die Darsteller unablässig über die Bühne, schafft plakative Ensemble-Szenen und „porträtiert“ die Rollen-Träger als exemplarische „Typen“!

Timo Dentler entwirft einen Museums-Raum mit großformatigen Genre-Bildern der englischen Romantik, einem lädierten Imbiss-Wagen und einer himmelanstrebenden Trümmer-Szene. Okarina Peters’ Kostüme unterscheiden den karikierten Falstaff von den eher modisch aktuell gekleideten Männern und den fast lasziv gewandeten Frauen.

Brian Bannatyne-Scott als stoisch selbstgerechter Falstaff ist Garant für die Überzeugungskraft der facettenreiche Inszenierung: wuchtig-flexibel im Auftritt, mit stupender Bühnen-Präsenz – dabei stimmlich von beeindruckender Variabilität, ausgesprochen klangschön, sicher in melodischen Tiefen, durchsetzungsfähig mit profundem Material. Melanie Kreuter gibt die Alice mit delikat-verzierendem Sopran, beweist wieder einmal ihre beeindruckenden sängerischen Möglichkeiten – ist die zickig-erotische „Verführerin“ mit ein wenig Zuviel an satirischer Übertreibung. So wie Rebecca Raffell ihren wandlungsfähig-stimmkräftigen Alt ausgesprochen rollengerecht einsetzt, aber in der „Komik“ der Mrs. Quickly der Grenze zum Chargieren zu nahe kommt! Marie-Helen Joël bleiben als eher assistierende Meg Page wenige, gut genutzte, Chancen zur Demonstration ihrer ausdrucksvollen Stimme. Cornelie Isenbürger überzeugt als liebende, mädchenhafte Nannetta mit hellem Stimm-Klang; Eric Laporte lässt als verliebter Fenton mit sicherer Intonation aufhorchen; Lassi Partanen – zuverlässig wie eh und je – interpretiert einen spießigen Cajus mit souveränen sängerischen Mitteln. Mit Vladimir Lortkipanidze und Torben Jürgens sind als intrigante Bardolfo und Pistola engagierte Darsteller zu erleben, die sich auch stimmlich profilieren können. Geradezu Maßstäbe setzend: Alexander Marco-Buhrmester als eifersüchtiger Ford – als verkleidetem „Fontana“ gelingt ihm ein Glanz-Stück baritonalen Verdi-Gesangs; das Duett mit Falstaff gerät zum sängerischen Höhepunkt des Abends - da stimmt die stimmliche Nuancierung, da funktionieren die so differenzierenden Zwischentöne, da gelingt die Umsetzung von dramaturgischer Intention in interpretierenden Gesang mit überzeugender Perfektion!

Der Bielefelder Opernchor (Leitung Hagen Enke) gibt sich äußerst spielfreudig, intoniert wohl abgestimmt und vermittelt komplexen Verdi-Klang.

Peter Kuhn leitet die Bielefelder Symphoniker zu transparentem Zusammenspiel, akzentuiert emotionale Höhepunkte, variiert Tempo und Dynamik, stellt sich auf die Akustik des Hauses ein und gibt Einzel-Instrumenten und Instrumentengruppen Gelegenheiten zu herausragender Präsentation (einige Unsauberkeiten und überzogene Forcierungen stören den Gesamt-Eindruck nur unwesentlich).

Das Bielefelder Sonntagnachmittags-Publikum braucht einige Zeit, um sich auf die ambivalente Inszenierung einzulassen und wechselnde Szenen zu akzeptieren, präferiert die „komischen“ Szenen – lässt sich schließendlich auf Szene, Geschichte, Musik und Gesang ein und dankt mit lang anhaltendem Applaus incl. rhythmischem Klatschen als höchste Steigerungsform ostwestfälischer Zustimmung!

Franz R. Stuke

 








 
Fotos: Matthias Stutte