Tiefe Depression
Es heißt „Eine Expedition“, und es ist zu erleiden eine hochdepressive Wasserwanderung der unbehausten Gott-, Menschen- und Todsuchenden. Peter Mussbach hat sich – als Kompilator der Hölderlin-Texte - von der aufgeführten Version distanziert, wohl weil weitere Zitate eingefügt wurden, die ihm zu handlungsorientiert erschienen.
Torsten Fischer inszeniert diesen narrationslosen Rezitationsabend im Stil des expressiven Theaters der Zwanziger Jahre, schafft immer wieder dramatische Massenszenen, weckt Leidenschaften und setzt Hölderlins zerquälte Prosa um in berührendes Bühnenhandeln – scheitert aber permanent an der kaum möglichen Identifizierbarkeit der Personen: gesungene, gesprochene und mit den Mitteln des Ausdruckstanzes artikulierte „Philosophie“ entzieht sich offenbar jeglicher kommunikativen Opern-Ästhetik.
Herbert Schäfers dramatisierend-monumentale Bühnenbauten – ein Gitterboden bedeckt die wassergefüllte Bühne, begrenzt von unwirtlichen Fassaden der Massenbauten, Projektionen auf durchsichtige Vorhänge vermitteln quälende Assoziationen – schaffen variable Handlungsräume - in ihrer rigiden Abstraktion aber ohne Compassion auslösende Effekte.
Peter Ruzicka hat zu diesen hochpoetisch-unsinnlichen Hölderlin-Texten eine nahezu meditative Musik komponiert – mit spätromantischen Anklängen, elektronischen Verstörungen, impressionistischen Versatzstücken, aufwallenden Perkussion-Einsätzen, flirrenden Winden und faszinierenden Momenten bedrückender Stille. Ruzicka vertraut in seinem beinah unterkühlt wirkenden Dirigat offenbar der stupenden Professionalität der Staatskapelle Berlin; es entsteht ein eingängig-unaufgeregt-vielschichtiges Klangbild – mit einem frappierend raumfüllenden Streicherkorpus als absolut verlässliche Basis.
Für die dreizehn Gesangs-Solisten stellt sich die schwierige Aufgabe, mit kurzen Passagen des Sprechgesangs Ausdruck zu vermitteln; das gelingt mit sehr viel Sensibilität für die Bedeutungs-Gehalte der inhaltsschweren Text-Rudimente! Den dreizehn Schauspielern verbleibt das dramatische Deklamieren von aktuell-plakativen und fragmentarischen Hölderlin-Zitaten.
Die heroische Kollektiv-Leistung der Staatsopern-Statisterie - zwei Stunden bis über die Knöchel im dümpelnden Wasser - verdient absolute Bewunderung!
Das Berliner Premieren-Publikum - mit viel Prominenz im Parkett - wirkt während der Aufführung kollektiv gespannt und hoch aufmerksam; doch im konkreten Umfeld sind mit Weg-Schlummern, Blättern im Programmheft, Flüstern mit dem Nachbarn, versteckte Blicke auf die Uhr Zeichen abnehmender Spannung zu bemerken. Höflicher Applaus für Peter Ruzicka, Buhs und Bravos für das Regieteam, Respekt für die Protagonisten – Peter Mussbach kommt nicht vor den Vorhang. (frs)
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