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Fakten zur Aufführung 

MARIE VICTOIRE
(Ottorino Respighi)
9. April 2009 (Dt. Erstaufführung)

Deutsche Oper Berlin


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Pulp Fiction

Nach einer nicht enden wollenden Exposition wird schemenhaft deutlich, worum es geht: Um Pulp Fiction, in der deutschen Literatur des Kaiserreichs als Kolportage bekannt - Courths-Mahler, Marlitt und Ganghofer lassen grüßen! Das Komtesschen taucht auf, das devote alte Faktotum, der unverständige Ehemann, der skrupellose Nebenbuhler – und der stolze Adel ist das moralisch obsiegende System. Respighis Oper stammt aus dem Anfang des künstlerisch, politisch und sozial so ambivalenten vorigen Jahrhunderts, präsentiert eine Melange damals gängiger Musik von Verismo, Puccini, Wagner, Strauss mit enorm eingängiger Musik für großes Orchester – und mit attraktiven Partien in Sachen spektakulären Operngesangs; sie wurde erst 2004 in Rom uraufgeführt.

Die Geschichte aus der Leidenszeit der Französischen Revolution hat aber so gar nichts von der Dramatik in Giordanos Andrea Chenier oder von der ergreifenden Religiosität in Poulencs Karmeliterinnen – sie ist trivial-reaktionär: eben „Kitsch“!

In der Deutschen Oper wird dieses zeittypische Produkt völlig undistanziert produziert.

Susanne Thomasberger stellt realistische zerstörte Schlossruinen auf die Bühne, arbeitet geradezu manisch mit historischen Details, überfüllt die Räume mit irrelevantem Trash – verstellt schon so den Blick auf die etwaige „tiefere Bedeutung“ des Stücks, evoziert lediglich die reaktionären Klischees über den Wandel der Revolution zur bluttriefenden Diktatur des ideologischen Fanatismus.

Johannes Schaafs blutleer-routinierte Regie erzählt die Geschichte eine Liebe zu Zeiten der Revolution, fokussiert auf unglaubwürdige Motive, in der Personenführung statisch-einfallslos – doch in der Einbeziehung verschiedener Handlungsebenen orientiert er sich offenbar an Traditionen des italienischen Theaters, lässt Nebenhandlungen im Hintergrund spielen, versucht den Eindruck komplexer Zusammenhänge zu vermitteln. Doch das ist nicht mehr als die Umsetzung der inszenatorischen Strategien des so vermaledeiten Deutschen Heimatfilms – hat mit spannendem Theater soviel zu tun wie Der Förster im Silberwald mit La Strada!

Michail Jurowski zelebriert geradezu die epigonal-eklektischen Effekte der Respighi-Musik mit einem sehr differenziert aufspielenden Orchester der Deutschen Oper Berlin, gibt vor allem den Bläsern viel Raum für strahlende Passagen über den Tutti, unterstreicht die Partien der Sänger - übertreibt allerdings in der Lautstärke.

Solisten und Chor machen einen exzellenten „Job“ – man muss das ob der erschütternd niveaulosen Vorlage so despektierlich formulieren. Eine zauberhaft zarte, wunderbar ausdrucksvolle, durch wandlungsreiche Emotionalität hinreißende Stimme beherrscht den Abend: Takesha Meshe Kizart singt die Marie mit beglückender Leidenschaft, verleiht der so unzureichend angelegten Figur glaubwürdigen Charakter – betört mit seelenvollem Timbre und geschmeidiger Phrasierungskunst!

Stephen Bronk gibt dem treu ergebenen „Gärtner“ Cloteau bewegenden Ausdruck, vermag die unerträglichen Klischees mit souverän-ausdrucksstarker Stimme zu überwinden – ein moralisch orientierter „Mensch“ mit allen Ausdrucksmöglichkeiten eines Charakter-Baritons. Markus Brück gelingt – wieder einmal - die Rettung einer „hoffnungslosen“ Partie: Sein Maurice gewinnt durch bravouröse Kraft und interpretierende Zwischentöne sängerische Statur, hat aber kaum eine Chance, seine darstellerischen Möglichkeiten zu entwickeln. So ergeht es auch German Villar, der mit seinem stupend stimmkräftigen Tenor den arroganten Verführer und ungebrochenen Royalisten Cloriviere gibt, stereotyp agieren muss, aber stimmlich triumphiert. Mehr als zwanzig Rollen sind zu besetzen - und das Ergebnis ist ein überzeugender Beweis für die schier unendlichen Möglichkeiten der Deutschen Oper! So wie der Chor (Leitung: William Spaulding) beeindruckt, kollektiv flexibel agiert und mit hoher Agilität die abrupt wechselnden musikalischen Vorgaben staunenswert interpretiert.

Gelangweiltes Unverständnis macht sich während der ersten Stunde im unkonzentrierten Publikum breit; Empathie für die süffige Musik macht sich späterhin breit; endlich überwiegt die Bewunderung der Stimmen, die auch den letzten Nörgler überzeugen. Am Ende der gefühlten sieben Stunden (es waren gestoppt vier Stunden sechzehn Minuten) entsprechender Applaus - aber gellende Buhs für das Regieteam. Zu Recht - aber die eigentlich Verantwortlichen für die Auswahl des desaströsen Stücks stellen sich nicht der Empörung! (frs)