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Die ersten Avatare - Musik mit
dem eigenen Schatten
Berlin Nein, eine Oper war das nicht und sollte es auch nicht sein, aber
was den gestrigen, knapp einstündigen Abend bei aller Skepsis gegenüber
der Kraft minimalistischer Musikstrukturen aufregend machte, waren die
szenischen Möglichkeiten, die sich durch Spiele mit der eigenen Projektion
auch für die konventionelle Oper ergeben könnten - und zwar eben nicht
nur für die kleine, als Experimentierfeld ausgewiesene Studiobühne.
Freilich wurden auch die Gefahren deutlich: "Effekt" und "Illustration".
Das Publikum nimmt auf der Drehbühne, dem hinteren Teil, der Staatsoper
Platz und blickt durch den opaken Vorhang in den sehr leicht beleuchteten
Saal; schon dies wie ein Zitat von irgend einer fotografischen Abonnentenwerbung,
nur eben, wie das neudeutsch heißt, "in echt".
Das Licht im Saal erlischt, der Vorhang wird Projektionsfläche, links
steht ein realer Flügel, rechts wird ein Flügel als Videoprojektion auf
den Vorhang geworfen, ein realer Pianist tritt hinzu und im Film sein
Duopartner, beide verbeugen sich vorm Publikum, nehmen an ihren Instrumenten
Platz und spielen "nach sieben", ein Stück für sozusagen vier Hände, von
denen zwei eben filmisch-imaginär sind: Ihr Part mischt sich von einem
Zuspielband in über auf dem enormen Bühnenraum verteilten Lautsprechern
mit dem live-Spiel des "wirklichen" Pianisten.
Das Stück stammt von Michael Beil, der zusammen mit dem Ensemble Mosaik
den Abend insgesamt konizipierte. Interessant an "nach sieben" ist vor
allem der theatralische Effekt, dass man als Zuschauer schon nach kurzer
Zeit beide Pianisten für gleichberechtigt nimmt: Sie leben in derselben
künstlerischen Sphäre. Die Konsequenzen für Operninszenierungen hieraus
sind wundervoll; vermittels Projektionen und Zuspielbänder ließen sich
ganze fantastische Szenarien etwa der musikalischen Barock-Literatur im
Wortsinn imaginär realisieren. Für die Klassische Moderne hat die Staatsoper
den Weg ja ohnedies längst beschritten, etwa in der ausgesprochen von
filmischen Mitteln geprägten Lulu-Inszenierung durch Mussbach und Gielen,
die derzeit auch wieder zu sehen und zu hören ist.
Eine nächste Variation des Spiels mit sich selbst stellte, ebenfalls von
Michael Beil, "und acht" vor, musikalisch das am ehesten überzeugende
Stück, weil es jenseits von Masche und Illustration blieb, bzw. letztere
als gestalterisches Moment einer Reflexion des musikalischen Geschehens
selbst in Szene setzte: Viermal der Akkordeonspieler im Filmquadrat und
der Musiker selbst (real) im Spotlicht als kleines, tiefes Rund aus der
Bühne herausgeschnitten. Hier gewann im Lauf der Vorführung der Film immer
mehr reale Kontur, indes der Musiker-Mensch fast entrückte, ferne, eigentlich
e r Projektion, wenn nicht bereits Avatar.
Nun hatte mein Begleiter gestern sicher Recht, wenn er monierte, jeder
Clip von MTV sei einfallsreicher als jedes dieser musikillustrativen Videos,
vor allem das des letzten Stücks, eines für Schlagzeug solo. Aber das
ist bloß eine Frage der (Geld-)Mittel. Und man muss auch Michael Beils
bisweilen ein wenig zu simplen, will sagen: zu repetitiven Stücke nicht
mögen, um doch zu begreifen, welche szenischen Möglichkeiten durch solche
Aufführungen aufgeschlossen werden, bzw. wie an besonders in den späten
Siebzigern ausprobierten seinerzeit neuen Theaterästhetiken angeknüpft
werden kann, etwa an die Arbeiten des damaligen Frankfurtmainer Theater
am Turms zu denken, als Peter Hahn und Stefan Schädler zeitgenössisches
Musiktheater in den Mittelpunkt ihres Interesses rückten.
Einen Moment lang hatte ich sogar das schlagende Gefühl, mit der Konzeption
der Guckkastenbühne sei es nun ein- für allemal vorbei. Es ist einfach
ein ziemlich berauschendes Gift für die herkömmliche Seh- und Empfindungsgewohnheit,
mitten im fantastisch-utopischen Raum einer solchen Opernbühne zu sitzen.
Und dass die Staatsoper das Experiment mit der im Magazin aufgeführten
"Blume von Hawaii" - mehr als den Affen Zucker gegeben - zeitlich parallelisiert,
lässt einen sowieso hoffen... und zwar auch dann, wenn es fast nur jugendliches
Publikum war, das gestern abend auf der Bühne saß, studentisches Publikum
vor allem... aber wem sonst als gehört eine ästhetische Zukunft? (anh) |
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