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Fakten zur Aufführung 

INTOLLERANZA
(Luigi Nono)
23. September 2001

Deutsche Oper Berlin

Points of Honor                      

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EXISTENTIELLE BEDROHUNG

Anno 1961 war Luigi Nonos Intolleranza als azione scenica in Venedigs Fenice eine musikalische Provokation und eine politische Herausforderung. Die Odyssee des ausgebeuteten Gastarbeiters durch die Gewalttaten des Kapitalismus mit hilfloser Solidarität der Opfer wurde als kommunistische Agitation verstanden - und die "multimedialen" Kommunikationsvorgaben als Zerstörung der Opern-Ästhetik.
Vierzig Jahre und viele Inszenierungen später - zuletzt in Darmstadt, Bremen, Stuttgart - und in veränderten gesellschaftlich-politischen Bedingungen sowie einer entwickelten Musiktheater-Kultur setzt sich Peter Konwitschny mit dem grandiosen Werk auseinander - und es entsteht ein Menschheitsdrama höchster Intensität, ein verzweifelter Appell für Humanität und die Fähigkeit des begriffenen Mitleidens. Man muss es so pathetisch formulieren: ein Fanal für das "Nie wieder!"
Das monumentale Bühnenbild von Hans-Joachim Schlieker verweist mit seinen Stahlträgern auf eine Ikone der mächtigen Ökonomie und mit einem bühnenfüllenden Bett auf die allgegenwärtige Privatspäre - und ersetzt die ursprünglichen Filmeinspielungen durch drei bühnenlange rote LED-Schriftbänder mit dem Text aus Versatzstücken von Brecht, Majakowski.
Peter Rundel betont mit dem phantastischen Orchester der Deutschen Oper - im Graben plaziert - nicht den seriellen Charakter der Musik, sondern kontrastiert den engagierten Aufschrei mit der Utopie der lebenden Zärtlichkeit. Das führt zu dem selten erfahrbaren Erlebnis einer durchaus "politischen" Musik!
Der Chor beherrscht die hochkomplexe Technik der versetzten Texte und Tonfolgen in faszinierender Perfektion mit emotionaler Intensität. Und das Ensemble lebt die spröde Partitur, entwickelt die immanenten Emotionen und demonstriert eine souveräne Stimmkultur: Yvonne Wiedstruck ist die "Frau" mit radikalem Bezug zur Idee, Melanie Walz die "Gefährtin" mit visionärem Glauben an die Menschlichkeit und Chris Merritt ist der Gastarbeiter, zerrissen zwischen ökonomischem Druck und Sehnsucht nach individuellem Glück - mit einer Intonation, die unter die Haut geht.
Die Aufführung beginnt mit erheblicher Verspätung, da an der Kasse unerwarteter Andrang herrscht. Das Management der Deutschen Oper reagiert hilflos und muss wohl noch lernen, Besucherzuspruch zu organisieren! Im Publikum viele "Newcomer", angelockt durch Mundpropaganda, eher an der politischen Botschaft interessiert, teilweise ohne Respekt für die ästhetischen Qualitäten der epochemachenden Aktualisierung eines Jahrhundertwerks. (frs)