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Fakten zur Aufführung 

DIE DREIGROSCHENOPER
(Bert Brecht/Kurt Weill)
12. August 2006
(Premiere: 11.8.06)

Admiralspalast Berlin

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Ein neues altes Stück Berlin

Der Admiralspalast ist über seine Nachkriegsgeschichte als Metropol-Operettentheater ein unsterbliches Stück Berliner-Volks-Kultur. Theater, Café, Jugendstilbad werden die Friedrichstraße beleben. Die neue Geschichte – nach zehn Jahren Brache – beginnt als Baustelle in progress: ursprüngliche Putzfarben sind zu sehen, Jugendstilelemente, Relikte aus DDR-Umbauten, der „Führer-Balkon“ aus NS-Zeiten ist verschwunden, moderne Hotel-Elemente verweisen auf eine zukünftige schicke Convenience-Szene; die Parkett-Sitze sind Metropol-original, die Gerüche atmen Lysol-Düfte aus: alles ist improvisiert, alles eine Mixtur aus nicht verdrängbarer Historie.

Und so ähnlich will Klaus Maria Brandauer auch wohl seine Dreigroschenoper-Inszenierung verstanden wissen: Englisch-historisch musikalisch mit Elgars „Land of Hope and Glory“ eingeleitet, im Dekor der 19. Jahrhundertwende platziert, die verklausulierte Kapitalismuskritik in historisch-allzumenschliche Doppelmoral verkleidend: die Idee kommt der vorklassenkämpferischen Phase Brechts (1926!) und seines Komponisten-Konpagnons Weill recht nahe: man sollte mal kritisch tun, aber mit ästhetischen Mitteln keine revolutionären Reaktionen auslösen. So ist der Medien-Hype „Admiralspalast-Dreigroschenoper“ nicht mehr (und nicht weniger!) als Dreigroschenoper-Inszenierungen von Flensburg bis München: hausbacken-uninspiriert, wenn man’s bös formuliert; handwerklich solide, wenn man’s positiv bewertet. Aber auf jeden Fall: langatmig und keineswegs spektakulär. Die Personenszenen offenbaren die Unfähigkeit Brandauers, ein Ensemble in ekstatische Bewegung zu versetzen; zudem lässt er zu, dass die Dialoge als Austausch von drögen Deklamationen stattfinden.

Ronald Zechners Bühne ist ein Tohuwabohu düsterer Vorstellungen von Proletenkultur: eine unauthentische, fast zynische Kulisse.

So sorgen die durchaus hart nuancierten Zwischenspiele mit virtuosen Saxophon- und Pianoeinlagen des Deutschen Filmorchesters Babelsberg unter Jan Müller-Wieland für anregende Momente.

Und: Die Solisten-Darsteller sind eine Equipe von Stars, die nicht zueinander finden. Campino merkt man die Ehrfurcht vor dem Klassiker an; wenn er doch so viel Aggressivität gezeigt hätte, wie als Fortuna-Fan gegen die verhassten Bayern! Gottfried John ist ein „würdevoller“ Peachum, Michael Kind ein bräsiger Tiger Brown und Florian Lebek agiert vor der Brecht-Gardine als gebremster Moritatensänger. Die Frauen reißen’s raus: Katrin Sass als pampige Mrs. Peachum, Birgit Minichmayr als nölende Polly (erinnert an Viva-Moderatorinnen); Jenny Deimling ist eine spielfreudig animierte Lucy, Maria Happel eine Entdeckung als Spelunkenjenny. Sie singen, wie sie sich Brecht-Weill-Gesang vorstellen – rauchig, „verfremdend“, deklamierend; allerdings hätte man sich schon ein wenig mehr Sinn für Rhythmen gewünscht.

Bleibt das Publikum. Die Berliner nehmen den Admiralspalast in Besitz! Am Premieren-Abend beherrschte die nulpige Pseudo-Promi-Szene das Geschehen (mit Johannes Heesters als Nacht-Ereignis), am zweiten waren sie alle da: die Brandauer-Bewunderer, die Übersiedler von der Volksbühne, die Premieren-Tiger, aber auch die Campino-Fans – und vor allem die Metropol-Nostalgiker. Die kribbelnde Mischung von Intellektuellen, Brecht-Kennern, anspruchsvollen Kunst-Fordernden, naiven „Gläubigen“, aktuellen „Allesfressern“, Erinnerungssuchenden – sie schafft Atmosphäre in dem riesigen Ambiente (1700 Plätze!) und gibt den verlorenen Akteuren auf der nahezu unüberschaubaren Bühne genügend Rückhalt, spendet reichlich Szenenapplaus, sympathisiert mit den vermittelten Inhalten – identifiziert sich schlicht mit dem neuen Stück alten Berlins! (frs)