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Fakten zur Aufführung 

LA BOHEME
(Giacomo Puccini)
6. April 2008 (Premiere)

Komische Oper Berlin


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Kurz und schmerzlos

So schnell war Weihnachten wohl noch nie vorbei. "100 Minuten, ohne Pause" , meinte die Türschließerin ungefragt. Das ist in der Tat für Giacomo Puccinis La Bohème, die Szenen in vier Bildern aus dem Künstler-Prekariat in Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts, fast revolutionär. Möglich wird dies in der Neuinszenierung der Komischen Oper Berlin nicht nur durch den Verzicht auf die übliche Pause, sondern auch durch den, durch keinerlei Aktschluss aufgehaltenen durchgehenden Handlungsverlauf. Es gibt keine sonst benötigte Umbaupausen, da Regisseur und Intendant Andreas Homoki auf jegliche Milieu-Schilderung verzichtet. Sowohl die eiskalte Mansarde der vier armen Künstler um den Dichter Rodolfo, als auch die Kaffeehaus-Szene des zweiten Bildes mit dem Weihnachtsmarkt oder die mitternächtliche Stunde vor der Schenke, als sich Rodolfo und seine Mimi noch einmal ihre Liebe gestehen und doch schon die Trennung erahnen, fallen ersatzlos dem Regie-Konzept zum Opfer. Auf nahezu leerer Bühne will sich Homoki auf die Zeitlosigkeit des Themas, auf die menschliche Dimension der Geschichte konzentrieren, die er in der Erbarmungslosigkeit des Lebens sieht, wonach Lebenswege zwar vorübergehend zueinander finden mögen, die Trennung aber fast immer mitgedacht und erlebt werden muss.

Wenn also fast alle Atmosphäre ausgetrieben ist - was bleibt dann von La Bohème? Eine dennoch packende und auch ergreifende, elegische Geschichte um die vier Künstler, die bei Homoki im letzten Bild Karriere gemacht haben, sich aber von ihren Frauen, die immer noch mittellos am Rande der Gesellschaft leben, schon längst getrennt haben. Man sammelt zwar auf einer Gala noch für die armen, bedauernswerten Opfer, ist auch über den Tod Mimis erschüttert, aber wohl nur für diesen Moment. Das Leben wird weitergehen, die Karriere ruft.

Die Bühne ist von Beginn an offen, es schneit, das Geschehen spielt sich meist in dem weißen und hell ausgeleuchteten Bühnenportal ab. Einziges und zentrales Requisit ist ein riesiger Weihnachtsbaum, der auf hohen Leitern stehend vom Chor geschmückt wird und später in allerlei Lichtern und Farben funkelt und flackert. In einem etwas zu platten Symbolismus fällt der Baum dann passend zu Mimis Tod prompt noch um. Auch die Tortenschlacht unter den Künstlern im Schlussbild ist nicht zwingend geboten - insgesamt aber verstand es Homoki mit seiner Konzentration auf die Psychologie der Figuren und eine sehr detailgenaue und präzise Personenregie zu fesseln und zu ergreifen. Was wiederum im Umkehrschluss nur zeigt, dass Theater und Oper nicht unbedingt der großen, opulenten Ausstattung bedürfen, um mit der jeweiligen Geschichte gefangen zu nehmen. Erforderlich ist dazu allerdings eine Regie, die Gefühle in Haltungen,  in Bewegung umzusetzen versteht. Hierin ist Homoki ein Meister. Wie er nicht nur die Protagonisten, sondern auch und vor allem den Chor führt, der fast ständig in großer Stärke präsent ist, auch wenn er nicht singt, ist eindrucksvoll. Hier wird nie nur herumgestanden, die Menge lebt, ist immer in Bewegung, drückt etwas aus, verdeutlicht die Handlung bis hin zu pantomimischen Zwischenspielen. Beachtlich. Das gleiche gilt für die Solistenführung und beginnt schon damit, dass die Sänger typmäßig besetzt, also jung sind, wie ihre unverbrauchten Stimmen.

Der Rodolfo von Timothy Richards mag nicht über eine sehr große Stimme verfügen, aber so wie er ihn singt, mit seinem schönen, unangestrengten Tenor, weiß er zu überzeugen. Genauso wie der volle Sopran der Mimi von Brigitte Geller oder die Musette von Christiane Karg. Gesungen wurde, wie üblich an der Komischen Oper, auf deutsch in einer neuen Textfassung, die zum Beispiel Musette Sätze sagen lässt wie "was soll dieser Schurke" oder "du benimmst dich wie ein Spießer". Man kann gewiss ewig darüber streiten, was denn nun besser sei, Originalsprache oder Deutsch, beides hat seine Vor- und Nachteile. Nicht verkehrt ist sicher, dass es zumindest eine größere Bühne gibt, wo konsequent deutsch gesungen wird. Noch besser wäre es dennoch, wenn auch die Komische Oper, wie inzwischen viele andere Bühnen, auch den deutschen Text in Übertiteln einblenden würde. Gerade das Argument der Textverständlichkeit bekäme dadurch zusätzliches Gewicht.

Am Pult gab der designierte neue Generalmusikdirektor Carl St. Clair seinen gelungenen Einstand. Passend zur Inszenierung legte er mehr Wert auf die scharfen, kantigen, aber auch emotionsgeladenen Stellen der Partitur und ließ das makellos spielende Orchester gelegentlich auch voll, bis an die Grenze, auftrumpfen - der reine Schönklang jedenfalls war seine Sache nicht.

Das Publikum nahm die Inszenierung mit großem, relativ kurzen Beifall auf - hatte auch schon einzelnen Arien applaudiert. Während die Solisten und der Dirigent sich über uneingeschränkte Anerkennung freuen konnten, musste Homoki neben dem deutlich überwiegenden Applaus auch ein paar Buhs einstecken.   

Axel Göritz

 




Fotos: Komische Oper Berlin