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Fakten zur Aufführung 

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)
27. Oktober 2009
(Premiere: 24. Oktober 2009)

Staatsoper Unter den Linden Berlin


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Placido Domingo ist Simon Boccanegra

Man nehme einen weltbekannten Dirigenten-Star (Daniel Barenboim), einen Super-Star-Tenor  (Placido Domingo), stelle  um sie herum ein hervorragendes Solistenensemble  und dekoriere das Ganze mit im Scheinwerferlicht erlesen glänzenden, sündhaft teuren Kostümen: das Opern-Event ist fertig, die Koproduktion mit der Scala in Mailand führt selbst im armen Berlin trotz Sonderpreisen zu sechs ausverkauften Vorstellungen an der Lindenoper und die Neu-Inszenierung des Simon Boccanegra, um die es sich angeblich handelt, interessiert sowieso keinen, da es sie eigentlich auch gar nicht gibt. Ungerecht ist die Opernwelt zudem noch: An der Konkurrenzbühne Deutsche Oper, nur wenige Kilometer entfernt,  ist ein ambitionierter, umstrittener Boccanegra nur drei Jahre zuvor, mit teilweise denselben Sängern, bereits tief im Fundus verschwunden. 

Der Simone ist sicher Verdis politischstes, zugleich aber auch sein kompliziertestes Werk. Die Geschichte um einen durch das Volk zum Dogen erhobenen ehemaligen Seeräuber im Genua des 14. Jahrhunderts, um Machtkämpfe der Patrizier, Intrigen, Aufstände und Verschwörungen, bis hin zum Giftmord, dem Simone erliegt, wird noch verwoben mit einer Familienerzählung, in der der Doge Boccanegra nach 25 Jahren seine verschollene illegitime Tochter Maria wieder erkennt, die im Hause seines Erzfeindes Fiesco erzogen wurde und auch noch in einen auf der Gegen-Seite kämpfenden Adeligen verliebt ist. Dieses vielleicht schon im Libretto zu kunstvoll verknotete Netz aus politischen und persönlichen Verstrickungen einigermaßen sinnfällig und nachvollziehbar auf die Bühne zu bringen, ist für jeden Regisseur eine höchst anspruchsvolle und möglicherweise aufgrund der verworrenen Handlung auch nur näherungsweise zu lösende Aufgabe. Das Radikal-Konzept von Federico Tiezzi, der sich um all dies einen Teufel schert, sondern schön ausstaffierte Menschen einigermaßen passend auf die Bühne stellt, wo sie Musikstücke abliefern, kann allerdings auch nicht die Lösung sein. Das ist die Verweigerung jeglicher Inszenierungs-Idee. Die Bühne (Maurizio Balo) ist ein meist dunkler Raum, begrenzt von Mauerquadern, im Hintergrund erscheinen gelegentlich scharf gezeichnete Segelmasten, und immer wenn ein Sänger an der Reihe ist, wird ein Punktscheinwerfer von schräg oben auf ihn gerichtet und er erstrahlt im hellen Licht. Eine Personenführung ist nicht erkennbar, man singt, fast wie im Konzertsaal,  mit den immer gleichen Armbewegungen und -gesten eine Musiknummer, stellt sie gewissermaßen aus. Auf hohem, höchstem Niveau gewiss, aber es bleibt äußerlich, dekorativ, wie die kunstvoll in Mailand geschneiderten Kostüme (Giovanna Buzzi). Im Film gibt es die Kategorie Ausstattungs- und Kostümstück - auf großen deutschen Opernbühnen war es in dieser Eindeutigkeit und Eindimensionalität bislang nicht zu sehen. 

Aber all das interessierte schon in der zweiten Vorstellung kaum einen Zuschauer, man war schließlich nur wegen einem auch von weit her gekommen: Placido Domingo im neuen Stimmfach, gewechselt vom Tenor zum Bariton. Natürlich kann er das. Seine baritonal timbrierte Stimme hat mit dem Fachwechsel alles in allem genommen, wie zu erwarten war, keine Probleme. Die lyrischen Stellen und sein Piano klingen jetzt fast noch besser als in einer Tenorpartie. Und es ist faszinierend zu hören und zu sehen,  wie Domingo mit Ende sechzig immer noch bravourös eine Hauptrolle sowohl stimmlich wie darstellerisch gestalten kann. Der Simone bleibt aber letztlich doch eine tiefe Männerstimme. Und in den mittleren und tiefen Lagen ist ein guter Bariton wohl doch die bessere Alternative. Zumal wenn der bisherige Tenor solche hervorragenden dunklen Stimmkonkurrenten hat wie in dieser Aufführung. Kwangchul Youn bleibt als Boccanegras Gegenspieler Fiesco stimmlich nichts schuldig, allenfalls in der Darstellung, vom Regisseur allein gelassen,  etwas blass, während sich Hanno Müller-Brachmann als der Intrigant Paolo Albiani auch szenisch voll ins Zeug legt. Die hervorragenden Männerstimmen vervollständigt der Gabriele Adorno von Fabio Sartori mit seinem typischen Verdi-Tenor.  Die Krone dieser Aufführung gebührt aber  Anja Harteros als Maria, der Tochter Boccanegras. Bei ihr treffen sich in selten zu erlebender Übereinstimmung überragende Stimm- und Rollengestaltung. Mit leuchtender Höhe, selbst im Fortissimo-Ausbruch fast ohne Schärfe, mit einer satten, vollen Mittellage, einem wunderschönen leichten Piano und einer trotz aller Regie-Defizite glaubhaften, intensiven Darstellung dürfte sie als Maria/Amelia derzeit unübertroffen sein. 

Daniel Barenboim hatte seine Staatskapelle wie meist gut im Griff, er nimmt das Orchester in der Sängerbegleitung zurück, so dass kein übertriebenes Forcieren nötig ist. Gestaltet aber dennoch die Partitur höchst differenziert und wenn erforderlich auch expressiv. Anzumerken bleibt allenfalls, dass die Staatskapelle am meisten mit ihrem runden, vollen Streicherklang zu überzeugen weiß, der vielleicht doch eher für das deutsche Repertoire, als für ein Verdi-Brio typisch ist.  

Das Publikum war im ersten Teil noch etwas zurückhaltend, auch der Pausenbeifall hielt sich in Grenzen, während es im zweiten und dritten Akt wiederholt Szenenapplaus gab. Zum Schluss dann einhelliges großes Feiern aller Beteiligten und mit vielen über den Graben geworfenen Blumensträußen für den Publikumsstar  Placido Domingo.   

Axel Göritz