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Fakten zur Aufführung 

L’ ETOILE
(Emmanuel Chabrier)
16. Mai 2010 (Premiere)

Staatsoper Unter den Linden Berlin


Points of Honor                      

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Über- und durchgedreht

Wenn Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker,  zum ersten Mal in der Hauptstadt die Premiere einer von ihm selbst gewählten Oper und seine Gattin Magdalena Kožená dabei die weibliche Hauptrolle übernimmt,  scheint der Erfolg auch eines eher entlegenen Stücks wie L' Étoile von Emmanuel Chabrier vorprogrammiert zu sein. So war es denn auch: die Inszenierung der 1877 in Paris uraufgeführten Opéra bouffe konnte an der Staatsoper einen in Berlin sonst fast nie zu erlebenden  unumstrittenen einhelligen Erfolg für alle Beteiligten erzielen. Das Publikum jubelte ob der absurd-grotesken Verwicklungen dieser musikalischen Boulevard-Komödie und ihrer Interpreten.
Operettenkönig Ouf I. provoziert jedes Jahr einmal einen Untertanen, um ihn anschließend zur allgemeinen Volksbelustigung öffentlich hinrichten zu lassen. Dieses Mal gerät er zufällig an den Straßenhändler Lazuli, von dem des Königs Astrologe allerdings entdeckt, dass der Despot ihn nur um einen Tag überleben werde. Also Kommando zurück, Lazuli wird nicht gemartert und hingerichtet, sondern wie der allerwichtigste Staatsgast im Palast empfangen und hofiert, auf dass er, und damit der König, möglichst lange lebe. Parallel zu diesem aberwitzigen Plot entwickelt sich eine verzwickte Liebesgeschichte zwischen Lazuli und einer ominösen Prinzessin Laoula, die incognito anreisend, eigentlich dem Monarchen versprochen ist, aber natürlich nur Augen für Lazuli hat. Die Handlungs-Komik erreicht ihren Höhepunkt, als Lazuli scheinbar erschossen wird und der König nur noch an seinen damit unmittelbar bevorstehenden eigenen Tod denken kann, wobei er in seinem letzten halben Stündchen noch unbedingt mit Prinzessin Laoula einen Sohn zeugen will...
Das alles ist derart über- und durchgedreht, dass es selbst als komische Oper nicht mehr glaubhaft ist. Die Brüche innerhalb des Librettos sind auch kaum zu überdecken. Einesteils die völlig absurde Rahmenhandlung mit dem von den Sternen angesagten Tod des Despoten, die nur witzig, ohne jeden aufklärerisch kritischen Unterton gemeint ist. Andererseits das insbesondere auch musikalisch durchaus ernst gemeinte Liebespaar Lazuli-Prinzessin Laoula. Der amerikanische Bariton Dale Duesing, der seit einiger Zeit auch Regie führt, hat sich in seinem Konzept auf eine gemäßigt lustige Inszenierungsvariante festgelegt, die funktioniert, aber doch etwas unentschieden zwischen Boulevard und seriöser Liebesgeschichte schwankt. Das Stück hätte viel mehr Drastik und Emphase verdient, wo sich Duesing mit ein paar Witzeleien begnügt. Vor allem die im Libretto angelegten sexistischen Anzüglichkeiten werden mehr übergangen als ausgespielt. Mit seinem eher feinsinnigen Konzept  aber erweist er dem Stern keinen Gefallen, der mit seinen gesprochenen Dialogen damit noch mehr in eine Nummernoper mit gebremstem Schaum zerfällt, wo die Gelegenheit bestanden hätte,  einmal richtig aufzudrehen und etwa satirisch überzeichnend,  pralles Theaterleben auf die Bretter zu bringen. Die Bühne mit ihrer modernen zweistöckigen Hotelhalle mit Drehtür, Lift und Treppe (Boris Kudlicka) und die aufwändigen Kostüme  (Kaspar  Glarner) - König Ouf I. anfangs im eleganten Tarnanzug, Prinzessin Laoula scheint direkt vom Laufsteg in Paris zu kommen - hätten dafür einen guten Ansatz geboten. So aber wurde das Grundproblem dieser zwischen Wagner und Offenbach flirrenden Musik trotz des Einsatzes von Simon Rattle und der Staatskapelle deutlich: sie besteht aus eher kleinteiligen, häufig lautmalerisch und solistisch akzentuierten Farbtupfern, die sich nur selten zu einem symphonischen Ganzen zusammenfinden. Rattle verstand es gewiss, das Lockere und Leichte dieser Partitur auch mit der Staatskapelle, die mehr für ihren satten Wagner-Sound bekannt ist, scheinbar mühelos erklingen zu lassen, doch gegen das einteilige Zerfasern der mitunter funkelnden Brillanten konnte auch Sir Simon nur schwer etwas ausrichten.
Von den Sängern gebührt an diesem Abend - so auch vom Publikum gewürdigt - dem in bester komischer Spielweise über die Bühne wirbelnden König Ouf I. von Jean-Paul Fouchécourt mit seinem hohen lyrischen Charaktertenor die Siegespalme. Was er mit Stimme, Mimik und Bewegung aus dieser aberwitzig-irren Rolle eines überkandidelten Operetten-Helden macht, ohne zu überziehen, ist bewundernswert. Dagegen kommt selbst Magdalena Kožená in der Hosenrolle des Lazuli kaum an, zumal sie von der Regie her zurückhaltender angelegt ist. Ob sie sich mit dieser Partie wirklich einen Gefallen getan hat, mag offen bleiben - in der Mittelage kann sie mit ihrem schön timbrierten Mezzo durchaus verzaubern, die Höhen dagegen klingen angestrengt, die Tiefe etwas blass. Juanita Lascarro weiß als Prinzessin Laoula ebenso zu überzeugen wie Douglas Nasrawi als Fürst und Oberdiplomat sowie Stella Doufexis als seine Frau Aloes. Giovanni Furlanetto als Astrologe Siroco bildete mit seiner tiefen Stimme den gewichtigen Gegenpart zum hohen Tenor des Königs. Der Chor bewältigte seine große Partie musikalisch hervorragend (Eberhard Friedrich), szenisch wurde er etwas stiefmütterlich behandelt.
Ob das im französischen Sprachraum gelegentlich, in Deutschland höchst selten gespielte Werk mit dieser Inszenierung vor einer Wiederentdeckung steht, ist trotz des Berliner Erfolges nicht klar abzusehen. 
Axel Göritz






 
Fotos: Monika Rittershaus