Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)
21. März 2008
(Premiere: 26. November 2006)

Deutsche Oper Berlin


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Train-Spotting

Na klar: Es geht um Generationen alten Hass, um politische Intrigen, um ambivalente Gefühle – und um die zeitlose Aktualität der Unmöglichkeit vom „richtigen Leben im falschen“ (Adorno [nicht Gabriele]). Lorenzo Fioroni inszeniert denn auch wechselnde historische Verweise – Genua zur Dogen-Zeit, Verdi zu Zeiten des Risorgimento, Jahrhundertwende – und zeigt die personae dramatis immer wieder in der – tragischen! – Verstrickung mit der aggressiven Umwelt. Aber dies alles im Bahn-Milieu spielen zu lassen, irritiert einigermaßen, und fördert auch nicht das von Verdi und seinen Librettisten Piave, Montanelli und Boito intendierte „Mit-Leiden“.

Cordelia Matthes baut ein Zug-Inneres und einen alten Bahnhof mit einer Lokomotiv-Spitze als optisches Highlight, lässt als Kommentar Filmeinspielungen von Massendemonstrationen und Tom and Jerry (?) projizieren, vermittelt auch sonst Film-Impressionen – man fühlt sich in die Rolle der Train-Spotter versetzt - aber nicht in die Musikwelt Verdis. „Bildideen, die aus der Musik entstehen“ (Programmheft) bleiben Absicht, teilen sich aber nicht mit.

Dabei gelingt Renato Palumbo mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin eine grandiose Verdi-Interpretation – leidenschaftlich, aber nicht schwülstig; mit Pathos, aber ohne Dämonie; mit sensibel ansteigenden Crescendi, berauschender Klangfülle, aber auch sehr transparent mit stimulierend hervorgehobenen Instrumentengruppen. Fantastisch die Balance zwischen Graben und Bühne, intensiv die Begleitung der Sänger!

Alexandru Agache gibt den Simone mit hinreißender Intensität – kraftvoll voluminös, stimmlich ausdrucksstark in Selbstbewusstsein und –zweifel, ergreifend im Tod. Kongenial der große Roberto Scandiuzzi als getriebener Fiesco – mit emotionalisierenden Zwischentönen und existenziell bewegendem Ausdruck! Piero Terranova verleiht dem intriganten Paolo scharf-akzentuierte Artikulation, charakterisiert einen zerstörten Charakter mit stimmlichem Nachdruck. Stefano Secco spielt – und singt! - den leidenschaftlichen Gabriele Adorno mit aller Verve, ist ein Meister des Spinto und vermittelt mit strahlenden Höhen und emotionaler Mittellage eine unendliche Spanne archetypischer Gefühle. Mit Anja Harteros ist eine Amelia/Maria mit bezwingend modulationsfähiger Stimme zu erleben, die sowohl filigran differenziert, als auch im kompakten Einsatz ihres dunkel timbrierten Soprans, existenziellen Gefühlen tief bewegenden Ausdruck verleiht. Der Chor der Deutschen Oper (Leitung: William Spaulding) agiert souverän kollektiv, singt in perfekter Abstimmung.

Im mehrheitlich von opernbegeisterten Touristen besetzten Haus dominieren die italianità-süchtigen Freaks die Szene und sorgen mit heftigstem Applaus, Bravi-Orgien und Standing Ovations für einen Vorhang nach dem anderen. Auch das ist – immer noch – animierendes Opern-Gefühl! (frs)

 

 







Fotos: Bettina Stöss