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Fakten zur Aufführung 

JENUFA
(Leos Janacek)
21. Januar 2008

Mariinsky-Theater St. Petersburg
Festspielhaus Baden-Baden


Points of Honor                      

Musik

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Existenzielle Nöte

Es ist das Drama der kleinen Leute, die sich „ihr Leben ganz anders vorgestellt haben“. Vasily Barkhatov inszeniert die existentiellen Nöte, die unlösbaren Ängste im besinnungslosen profanen Alltagshandel. Man spürt die leidenschaftliche Anteilnahme am Schicksal der in permanenter Erniedrigung komplexen Menschen – und das intime Vertrautsein des Regisseurs mit der ebenso komplexen Musik Janaceks!

Zinovy Margolin lässt demonstrativ ein gewaltiges „Herrenhaus“ über der Welt der kleinen Leute thronen, die seitlich durch Betonschrägen brutal in ihrer Bewegungsfreiheit eingeengt sind.

Maria Danilovas Kostüme intensivieren in ihrer manischen Detail-Genauigkeit den alternativlosen Zwang – konfrontieren die Depravierten mit den Besitzenden.

Janaceks assoziationsreich-expressive Musik erlebt durch das hoch motivierte Orchester des Mariinsky-Theaters eine Aufführung sondergleichen. Valery Gergiev betont die strukturierenden Rhythmen mit äußerster Konzentration, lässt Einzel-Instrumenten Gelegenheiten zu virtuos-eindringlichem Spiel, führt den so präsenten Klangkörper von weichen lyrischen Passagen zu hochdramatischen Eruptionen. Bewundernswert die Übereinstimmung von musikalischer Charakterisierung und konkret-nachvollziehbarem Bühnenhandeln!

Dass begnadete Sänger auch hinreißende Darsteller sein können – hier wird es bewegendes Ereignis! Larisa Gogolevskaya verleiht der Küsterin Züge verzweifelter Liebe, singt ihre so komplexe Rolle mit allen Nuancen existenzieller Hilflosigkeit – aggressiv, leidend, wahnsinnig, opferbereit. Irina Mataevas Jenufa ist die hoffnungsvolle junge Frau, betrogen, gefangen in sozialen und moralischen Zwängen – sie gibt den Gefühlen existenziellen Ausdruck: lyrisch in Liebe und Trauer, zurückhaltend dramatisch in ihrem schockartigen Erleben der Ausweglosigkeit. Jorma Silvastis Laca ist der zurückgewiesene Underdog – weit weg von allen Klischees des Dorftrottels, stimmlich von beherrschter Kraft, mit vielen Zwischentönen und einer bezwingenden Phrasierungskunst. Sergei Semishkur ist der sittlich scheiternde Steva, intoniert selbstbewusst-souverän, vermag aber auch Brüche in dieser Selbstsicherheit zu artikulieren. Elena Vitman ist als alte Buryjovka ruhender Pol im unbegriffen-brutalen Treiben, Alexander Gerasimov ein souverän-lebensweiser Altgeselle, Andrei Spekhov ein jovial über dem Elend stehender Dorfrichter. Mit Tatiana Kravtsova als Richter-Frau, Yekaterina Soloveva als Karolka, Lia Shevtsova als Magd Barena, Olga Legkova als Magd, Angelina Dashkovskaya als Schäferjunge und Olga Markova-Mikhailenko agieren und singen keine Klischee-Figuren, sondern Wesen der sozialen Wirklichkeit.

Das zumeist gespannt erwartungsvolle Publikum brauch einige Zeit, um sich in diesem radikalen Naturalismus und der brutalen Konfrontation mit dem sozialen Elend zurechtzufinden, leidet dann aber mit – wird noch irritiert durch den verzweifelt-hoffnungsvollen Schluss mit dem Ausbruch gebrochener Glücksgefühle. Es stellt sich Betroffenheit ein - und die Akzeptanz äußert sich in stürmischer Zustimmung. (frs)

 








Fotos: Natasha Razine