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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
5. Mai 2008
(Premiere: 3. Mai 2008)

Festspielhaus Baden-Baden


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Hurra, die Freiheit naht?

Ja, wenn es denn so einfach wäre. Beethoven hat sich in seinem Idealismus verheddert, doch die Regie, so fragwürdig Chris Kraus mit bestenfalls konventioneller Personenführung in seiner ersten Musiktheater-Inszenierung agiert, lässt wenigstens einen Anker der Nachdenklichkeit im Grund: Nicht weniger als sechs Guillotinen ragen im Schlussbild empor und mahnen, dass Freiheit immer wieder neu erkämpft werden muss und dass Gerechtigkeit ein leerer Wahn bleibt, selbst wenn sich ein Einzelschicksal zum Guten wendet. Florestan darf in die Arme seiner Leonore sinken, aber die anonyme Staatsmacht hat im Rollentausch ein Exempel statuiert und - ruckzuck - den Bösewicht Pizarro unters Fallbeil gelegt. Also: Der Rechtsstaat ist noch in weiter Ferne, die Revolution fordert immer ihre Opfer und Staatsgewalt hat einzig und allein das eigene Überleben im Auge.

Fern einer Festival-Atmosphäre agiert das Sänger-Tableau beim „Fidelio“ im Festspielhaus Baden-Baden zur Eröffnung der Pfingstfestspiele. Seltsam, dass Claudio Abbado, der aus dem Graben heraus mit seinem Mahler Chamber Orchestra so bewundernswert agiert und die Partitur exemplarisch-exzellent ausdeutet, sich mit dieser Sänger-Besetzung abfindet. Denn Florestan, Clifton Forbis, singt gequält, mit überanstrengt wirkenden Farben. Sarkastisch könnte angemerkt werden, dass das zur Rolle eines schmachtenden Gefangenen kurz vor dem Hungertod passt. Seine Retterin Leonore ist mit Anja Kampe sängerisch etwas überfrachtet besetzt, bringt dennoch Stabilität ins Ensemble. Gouverneur Pizarro wird von Albert Dohmen, dem Wotan der Bayreuther Festspiele 2007, in heldenbaritonaler Wucht und abgründiger Bosheit dargestellt. Auch er hat ein Einzelschicksal zu verkraften, denn die Regie verbannt ihn in den Rollstuhl, was in der mordlüsternen unterirdischen Kerkerszene zu unfreiwilliger Regie-Komik führt, denn wie kommt der schlimme Kerl hinunter, wo schon Kerkermeister Rocco (mit Giorgio Suran ein akzeptabler, seriöser Bass) und sein Helfer-Retter Fidelio/Leonore nur mühsam die enge Stahl-Leiter herabturnen?

Ein bisschen scheint es doch am Handwerklichen zu fehlen, wenn Chris Kraus und sein Bühnenbildner Maurizio Baló den Realismus mit einigen allzu bekannten Versatzstücken garnieren. Ja, ein „Hoffnungsschimmer“ wird als schmaler Lichtstreifen angedeutet, und die „Freiheit“ in gleißendes Licht getaucht. Dass der Minister (Diogenes Randes) in kardinalem Purpurrot gewandet ist, scheint eher als optischer Kontrapunkt erklärbar, mag indes assoziativ zum Massengefängnis aus gestaffeltem Chorgestühl im Halbrund erklärbar sein. Bezaubernd in der Sängerriege Julia Kleiter mit hellen, durchlichtetem Sopran als Marzelline, die anfangs brav die Guillotine putzt; ihr zur Seite in guter Stimmqualität Jörg Schneider als Jaquino.

Dennoch ein wundervoller Abend, weil Claudio Abbado das Orchester zu perfektem, aus Transparenz, edelsten Klangabstufungen und feinfühlig-emotionalem Gehalt gespeistem Spiel mit perfekt ausbalancierten Spannungsbögen führt und weil der große Chor (Wiener Arnold Schoenberg Chor; Coro de la Comunidad de Madrid) jedem Festival-Anspruch gerecht wird. – Das gut situierte Publikum war’s zumindest am zweiten Abend mit der Gemeinschaftsproduktion von Festspielhaus Baden-Baden, Teatri Reggio Emilia, Teatro Real Madrid, Teatro Comunale di Ferrara und Teatro Comunale di Modena weitgehend zufrieden.

Eckhard Britsch