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Fakten zur Aufführung 

ELEKTRA
(Richard Strauss)
1. Februar 2010
Premiere: 29. Januar 2010

(Premiere der Produktion: Bayerische Staatsoper München, 27. Oktober 1997)
Festspielhaus Baden-Baden


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Traumatische Erregungen

Herbert Wernickes ultimative Elektra von 1997 – das ist auch dreizehn Jahre danach ein staunenswertes, überwältigendes grandioses Opern-Ereignis! Wie eine Serra-Skulptur beherrscht eine mächtige Wand die Bühne, geheimnisvoll schwebend, hermetisch abschottend, demonstrativ den Blick freigebend auf eine gen Olymp strebende Treppe, blutiges Rot bestimmt die Szene; vorn eine Schräge mit der anklagenden, beschwörenden, rasenden, verzweifelten, zerstörerischen, gebrochenen, elementar glücklichen, am Ende geradezu triumphal sich tötende Elektra. Von Beginn an trägt sie das Beil, versteckt es, schwingt es drohend – „kann“ es im entscheidenden Moment dem Orest nicht geben: es ist permanentes Symbol des mörderischen Geschehens – nur Orest benötigt es nicht für seine blutige Rache, steht am Schluss triumphierend in Agamemnons Umhang, demonstriert einen brutalen Neu-Anfang. Wernickes tief reflektierte Inszenierung lässt alle gängigen Klischees außen vor, vermittelt vielmehr traumatische Erregungen mit pessimistischer Perspektive – keine Hoffnung, keine „Erlösung“: Ein Endzeit-Drama höchster Abstraktion.

Nun muss man kein Thielemann-Fan sein, auch kein hemmungsloser Bewunderer der Münchner Philharmoniker: Aber wie dieses phantastische Orchester unter einem hoch motivierten Zampano Emotionen Klang werden lässt, das ist schlichtweg hinreißend! Da wird die Strauss-Musik mit der Hofmannsthal-Dichtung zu einem bewegend-emotionalen Klang-Drama: hoch differenziert in der Betonung der genialen Strauss-Instrumentierung, niemals effekthaschend laut, die Erregung sensibel aus stimulierender Stille in rauschhafte Crescendi steigernd, dabei mit unwiederstehlich interpretierender Kraft die Substanz dieser filigranen und zugleich überwältigenden Musik in höchster Perfektion mit existenzieller Bedeutsamkeit intensiv vermittelnd!

Wernickes Inszenierung besticht durch seine „Liebe“ für die Solisten – und Bettina Götsch als Spielleiterin der Baden-Badener arbeitet kongenial in diesem Sinne! – und setzt auf verhaltene Gestik und intensive Kontakte ohne plakative Aktion.

Das Baden-Badener Ensemble nimmt diese Impulse dankbar auf, agiert verhalten, aber mit emotionalisierendem Ausdruck. Linda Watson gibt mit ihrer leidenschaftlich intonierenden Stimme eine rächende Elektra mit verblüffender stimmlicher Variabilität: steigernde Dramatik ohne scharfe Höhen, eine phrasierungssichere Mittellage, faszinierende Stimmkultur mit schier grenzenloser Kraft! Jane Henschels Klytämnestra wird zum Paradigma verhaltener Traumatisierung: Wie diese großartige Sängerin Piano-Passagen virtuos auskostet, niemals in exaltierte Forcierung flüchtet, dabei einen diffizilen Charakter stimmlich souverän (neu) interpretiert: das verdient höchsten Respekt! Manuela Uhl bewegt als Leben suchende Chrysothemis – darstellerisch schüchtern-reserviert – mit eindrucksvoller stimmlicher Präsenz, durchaus dramatisch in der Konzeption, verhalten in ihrer emotionalen Ambivalenz, ungemein bewegend in ihrer sensiblen Phrasierungskunst. Albert Dohmen ist ein statuarischer Orest, der von außen kommende zukünftige Machthaber: eine beeindruckende Stimme mit enormer Substanz, souverän im Duktus, kraftvoll in der stimmlichen Attacke! Rene Kollo – eigentlich als Verächter des Regie-Theaters negativ polemisch positioniert – gibt dem Ägisth im weißen Dinner-Jacket bewusst chargierenden Charakter, erinnert mit seiner tenoralen Virtuosität an vergangene Zeiten – ist aber mit seinem Timbre ein überzeugender hilflos gemordeter Mörder. Die anspruchsvollen „kleinen“ Rollen der Mägde, Pfleger, Aufseherin sind kompetent vertreten, so wie der Philharmonia Chor Wien aus dem Off ingeniös zum Gelingen des faszinierenden Gesamtkunstwerks beiträgt.

Drei mal 2.500 Besucher für eine Elektra in das großartige Festspielhaus Baden-Baden zu bringen, ist schon ein Problem: Es gibt einige Lücken im Auditorium - aber die Stimmung ist während der ganzen zwei Stunden hoch konzentriert – und der Schluss-Beifall enthusiastisch!

Die Renaissance der Wernicke–Elektra in Baden-Baden ist in dieser Form ein verdienstvolles Unterfangen, trägt bei zur Kontinuität der Musiktheater-Kultur in dieser Welt!

Franz R. Stuke

 





Fotos: Andrea Kremper