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Fakten zur Aufführung 

DER ZWERG
(Alexander von Zemlinsky)
23. Oktober 2007 (Premiere)

Megaron - The Athens Concert Hall


Points of Honor                      

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Gesang

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Das verachtete Fremde

Zemlinskys „Zwerg“ unter dem Blickwinkel des „Geburtstags der Infantin“ (von Oscar Wilde) als Scheu vor dem Fremden in all seinen Schattierungen zu zeigen, ist ein bemerkenswertes Inszenierungs-Konzept. Eike Gramss zeigt kollektive Belustigung, bürokratische Distanz, wohlmeinende Hilflosigkeit und naiv-unreflektierte Brutalität als Kategorien des Umgangs mit dem Unbekannten. Im konkreten Bühnenhandeln allerdings werden alle textlichen und musikalischen Vorgaben zum Abspulen des Repertoires gängiger Verhaltens-Klischees. Petros Gallias als Choreograph gelingen einige Szenen des (Bewegungs-)Chors mit bezwingender Intensität.

Gottfried Pilz konstruiert mit rotierenden Spiegeltürmen auf der Drehbühne die handlungsbestimmenden Spielräume, verdeutlicht Distanzen und Annäherungen, Irritationen und Schein-Sicherheiten, Wahrheiten und Täuschungen. Diese abstrakten Scheinwelten archaischer Empfindungen werden durch das imaginierende Licht von Manfred Voss kommunikativ fokussiert.

Der permanente Verweis auf die All-Gültigkeit des Geschehens, die Reduktion auf wenige stilisierte „Requisiten“ (Geschenkpakete, Blumen), die Wahl „sprechender“ Kostüme, die Nutzung diffus reagierender Materialien (Spiegel, Wände) - das macht die Magie der Bühnen von Gottfried Pilz aus.

Boiko Zvetanov findet hier die Räume für seine Darstellung des Zwergs, die bis an den Rand der Existenz geht: Er steht die mörderischen Wechsel vom zartesten Piano bis zu urschreihaften Ausbrüchen stimmlich bewundernswert durch. Der großartige Sänger-Darsteller vermittelt die Unbefangenheit, das Selbstbewusstsein, die Selbsttäuschung, die blinde Liebe, die erschütternde Selbsterkenntnis und die tötende Verzweiflung des gedemütigten Zwergs mit einer Riesen-Kraft - er wird vom skurrilen Objekt zum Opfer der ignorant-bösartigen Umwelt.

Marlis Petersen gibt der naiv-ignoranten Infantin Clara mädchenhaft-spielerisches launenhaftes Flair, vermag deren von Grund auf kaputten Gefühle mit stimmlicher Virtuosität zu vermitteln. Die Petersen ist sicherlich eine der großen Sängerinnen, die sich durch typengerecht unbefangenes Spiel und intensive stimmliche Charakterisierung der Rollen auszeichnen. Dabei wirken Darstellung und Gesang niemals schablonenhaft einstudiert, sondern als Ausdruck authentischer Betroffenheit.

Mata Katsouli ist eine hilflos empathische Ghita mit einer warm timbrierten Stimme und bemerkenswerter Phrasierungskunst; Wolfgang Schöne verleiht dem Haushofmeister gravitätische Statur und eine ebenso verhalten strömende Bariton-Stimme. Überraschend der quicklebendig agierende, stimmlich kompakte und individuell ausdrucksstarke Damenchor des Megaron!

Das Prager Radio Symphonie Orchester lässt die Einflüsse von Strawinsky, Berg und Strauss auf die Zemlinsky-Musik hören; Nikos Tsouchlos lässt aber auch die enorme Kraft dieser Komposition deutlich werden, ihrer musikalischen Intentionen und ihrer schmerzlichen Bedeutung – schließlich steckt viel persönliche Enttäuschung in der Musik nach der Trennung Alma Werfels von Zemlinsky!

Die großartige, Gefühl assoziierende Aufführung wird vom blasierten Athener Megaron-Premieren-Publikum nicht angemessen gewürdigt – da sind Damen während der Aufführung mehr mit ihrer Garderobe beschäftigt als mit dem Bühnengeschehen, da stoppt der gnädige Applaus bei Anwesenheit des Ensembles auf der Bühne; wo gibt’s das sonst? (frs)



 


Fotos: Karen Stuke