Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)
20. Juni 2008
(Premiere: 5. Juni 2008)

Opera Antwerpen, Vlaamse Opera


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Ende der Medienwelt

Eine bizarre Monitorwand mit Bildern von Katastrophen, brutalen Fiktionen, Video-Animationen, Pornos - und viel weißem Rauschen: Jan Versweyfeld demonstriert optische Ausweglosigkeit mit höchster Intensität – verfremdet konkrete Situationen mit variabler Jalousetten-Wand, schafft scheinbar offene Räume, verweist zwingend auf das bedrängende Szenario permanenter Einflüsse medialer Allgegenwärtigkeit.

Ivo van Hoves kulturkritischer Ansatz besteht – wie in den vorangegangenen Abenden des Ring – auf der Gefährdung der humanen Welt. Brünnhilde wird zum lebenden Monument der Menschlichkeit in einer Welt der Computer- und Cyber-Freaks, Hagen zum Zampano des medialen Trugs, Siegfried zum unbegriffen-reflektionsfreien Nutznießer und Opfer der indifferent-herrschenden „Medienwelt“. Gunther und Gutrune sind die skeptisch beobachtenden, vermeintlich über den Dingen stehenden, am Ende zerstörten Teilhaber der zerstörerischen Medien-Macht. Die faszinierend konkretisierte Inszenierungs-Idee kulminiert im Aufflammen der Computer-Schränke als „stark geschichtete Scheite“ -- mit dem Ende einer Pergamentwand, einem aufgebauten Bonsai-Baum und einem exotisch chinesisch-japanischen Groß-Lampion. Dostojewskis zitierter Kristall-Palast endet in der Günther Anders-Vision von der Antiquiertheit des Menschen (1956) – eine sozial-philosophische Grundlegung, die der geschwätzigen Sloterdijk-Anleihen im Programmheft nicht bedurft hätten. Auf alle Fälle optisch verständlich: Es gibt (asiatische) Träume fern der westlichen Zivilisation. Doch Skepsis ist angesagt – so wie bei Wagners angedeuteter Vision.

Sensationell, wie Ivan Törzs mit dem lebendig-reagierenden Symfonisch Orkest van den Vlaamse Opera eine an Wahnsinn reichende Geschichte musikalisch erzählt: da geht es nicht um akademische Kategorien der Wagner-Interpretation, sondern um die Faszinationskraft einer „Programm-Musik“ in Sachen archetypischer Menschheits-Konflikte!

Jayne Casselman singt eine emotional-bewegende Brünnhilde, vermag ihren ausdrucksstarken Sopran situationsbezogen zu variieren – und vermittelt mit dem verzweifelt-zukunftsoffenen Schluss-Gesang befreiende Sehnsucht nach der besseren Welt. Lance Ryan ist ein stimmlich ambivalenter Held: beeindruckend im unforcierten Strömen der Mittellage, zurückhaltend in der heldischen Attitüde, aber permanent sicher in der Intonation und konsequent in der ambivalenten Interpretation. Attila Jun ist ein voluminös-kraftvoller Hagen – fast brutal in der Phrasierung, beherrschend in seinem unbedingten Macht-Willen, stimmlich den Orchester-Gewalten jederzeit gewachsen. Robert Bork gibt einen durchaus kraftvoll-räsonnierenden Gunther; Christine Niessen ist eine skeptisch-starke Gutrune, gibt ihr eindrucksvoll-charakteristische Stimme mit bemerkenswertem Timbre und kommunikativer Sicherheit in den Extrem-Lagen. Laura Nykänen springt kurzfristig ein als Waltraute – grandios in ihren stimmlichen Möglichkeiten, total überzeugend als Warnerin aus der „alten Welt“, faszinierend in der persuasiven Vergeblichkeit.

Werner van Mechelen als Alberich, die Nornen und die Rheintöchter vervollständigen mit interpretationssicherem Singen die extraordinären Leistungen des Ensembles der Vlaamse Opera – und der „Koor“ (Jef Smits) ist ein Musterbeispiel für kollektives Singen und individuelles Agieren!

In der historisch rücksichtsvoll renovierten Oper von Antwerpen verfolgt ein gespannt lauschendes und beobachtendes Publikum eine spannende – musikalische und narrative – Geschichte; da tauscht man sich auch mal wispernd über das bedeutungsreiche Geschehen aus, da gibt es aber keine „Grundsatz-Diskussionen“ über das richtige Wagner-Verständnis: Bühne, Regie und Musik treffen ins Lebensgefühl unserer Zeit! (frs)

PS.: Vom 29. Juni bis zum 9. Juli gibt es die Klasse-Götterdämmerung in der Vlaamse Opera Gent zu erleben!

 






Fotos: Annemie Augustijns