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Fakten zur Aufführung 

DER GÜNSTLING
(Rudolf Wagner-Régeny)
31. Januar 2010 (Premiere)

Eduard von Winterstein-Theater Annaberg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Große Traditionen

Mitten im tief verschneiten Erzgebirge, im idyllischen Eduard von Winterstein-Theater – die Wiederbelebung einer Oper, deren Autoren Operngeschichte geschrieben haben : Rudolf Wagner-Régeny als Schreker-Schüler, Professor an der Berliner Musikhochschule; und der legendäre Caspar Neher als Librettist: Ihre Oper wurde 1935 in Dresden unter Karl Böhm uraufgeführt, fand große Zustimmung der avancierten Musikszene, war in der Nachkriegszeit vor allem auf ostdeutschen Bühnen präsent.

Nun also die Auferstehung des musikalisch und szenisch so ambitionierten Werks mit den Mitteln eines hoch engagierten kleinen Theaters - und siehe da: Zu erleben ist die Renaissance vergessener großer Traditionen!

Wolfgang Clausnitzer stellt den Unterbau eines monströsen Herrscherdenkmals mit umlaufenden Treppen und versteckten Räumen auf die düstere Bühne – Caspar Nehers imaginativ-bedrohenden Elemente sind offenkundiger Verweis auf die Entstehungszeit!

Paul Flieders Regie fühlt sich dem Mythos des pathetischen Theaters der Zwanziger Jahre verpflichtet: nutzt die Vorlage Victor Hugos mit dramatisierenden Texten Georg Büchners zu einer instruktiven Folge von verklärenden Solo-Auftritten, dramatischen Ensembles und pathetischen Massen-Szenen. Die Intrigen am Londoner Tudor-Hof mit der blutigen Mary und ihrem moralisch hemmungslosen Geliebten Fabiani werden so zum verzweifelten Kampf des Arbeiters Gil und seiner beschützten Jane ums Überleben: am Ende siegt die Macht des Volkes als verfasste kollektive Kraft. Der Glaube an die letztendlich siegreiche Überlegenheit „des Volks“ feiert einen Triumph – wird mit einem abschließenden Wandspruch auf dem Vorhang „Sind wir das Volk?“ plakativ relativiert.

Wagner-Régenys Musik lebt von volksliedhaften Elementen, großen Arien, jazz-ähnlichen Passagen und veristischer Ausdruckskraft: kontrastiert mit den zeitgenössischen Tendenzen von z. B. Schreker, Korngold und Křenek – steht ganz im Dienst der persuasiven Botschaft einer „besseren“ Welt!

Naoshi Takahashi leitet die kompetent besetzte Erzgebirgische Philharmonie Aue zu emotionalem Klang, führt die Musiker zu exzellenten Solo-Partien, begleitet die Sänger mit viel Verständnis - und lässt vor allem das spezifisch-pathetische Klima einer historisch bedingten emphatischen Musik zu faszinierendem Klang werden. Dass dies in einem so intimem Raum nicht zu schwelgenden Klangwogen führen kann - das liegt auf der Hand!

Das Sänger-Ensemble des Annaberger Theaters braucht einige Zeit, um sich in die vokal anspruchsvollen Partien einzufinden. Francisco Almanza entwickelt sich zu einem bravourös strahlenden Fabiono, mit sicheren tenoralen Höhen und kontrollierter Mittellage. Bettina Grothkopf gibt der Maria dramatische Substanz, zuverlässig in den exaltierten Höhen, durchaus sensibel in den geforderten Zwischentönen. Werner Kraus ist der kraftvolle Gil, herausfordernd im Duktus, stimmlich kompetent, allerdings ohne überzeugende Gestaltung. Für Marita Posselt ist die instrumentalisierte Jane eine große Herausforderung – mit ihrer hellen Stimme gelingt ihre eine durchaus ansprechende Rollen-Interpretation. László Varga gibt dem Minister Renard sonoren Bass, wird zur zentralen Figur im intriganten Spiel. Eindrucksvoll im kollektiven Gesang und im interpretierenden Spiel der Annaberger Chor!

In der Annaberger Mini-Oper herrscht gespannte Aufmerksamkeit, das bemerkenswert junge Publikum feiert das Ensemble enthusiastisch. Schade, dass die nächste Aufführung erst im März zu erleben ist - aber die Verhältnisse sind nun mal so, wie sie sind: Gut, dass es zu diesen Zeiten das Annaberger Theater überhaupt noch gibt.

Franz R. Stuke








 
Fotos: Dieter Knoblauch