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NACHTSPIEL
Selten ist die Geschichte von Tristan
und Isolde als die "unmögliche Liebe" so intensiv zu erleben wie in Alfred
Kirchners DNO-Inszenierung: in den ersten beiden Akten eher uninspiriert,
voller heroischer Gesten und unvermittelter Beziehungen, aber im finalen
Kareol-Akt zu höchster Intensität aufsteigend.
Ebenso geht es mit den Bühnenbildern von Annette Murschetz: zerrissene
Elemente, quasi "legatofrei", im zweiten Akt mit einem schrägen Rasenstück
die Architektur des Amsterdamer Stedelijk Museums zitierend, erst im dritten
Akt zu klaren Formen findend. Ann Poppels Kostüme entsprechen diesem zwiespältigen
Eindruck: beliebige Ledermäntel für die "Rahmenfiguren", aber identitätsstiftende
Gewandungen für Isolde und Tristan.
Gerät das Bühnengeschehen erst mit dem Finale zu ingeniöser Aussage und
Wirkung, so wirkt die musikalische Interpretation Sir Simon Rattles mit
dem wunderbaren, riesigen Rotterdams Philharmonisch Orkest vom Tristan-Akkord
des Vorspiels an bezwingend - nicht die "harte Droge" Wagner, nicht das
hämmernde Pathos, nicht die unendliche Melodie als Begleitung des unendlichen
Gesangs: sondern hochdifferenziert, transparent, differenziert Emotionen
artikulierend, die Sänger weder zudeckend noch hofierend, die Stimmen
vielmehr sensibel integrierend in die schwelgenden Klänge - eine Offenbarung!
Das Ensemble fand im Schlussakt zu außergewöhnlicher Präsenz: Gabriele
Schnaut als bewusst sterbende Isolde, John Treleaven als leidender, sehnsuchtsvoll-verzweifelt
sterbender Tristan, während Petra Lang als allwissende Brangäne ihren
klangvollen Mezzo aufblühen lässt. Alan Helds Kurwenal und Richard Deckers
Melot sind die schuldhaften Opfer des Dramas, die Robert Lloyds Klage
als Marke glaubhaft werden lassen.
Das herrlich unprätentiöse Amsterdamer Publikum reagiert auf eine außergewöhnliche
Tristan-Performance mit Respekt vor dem Inszenierungs-Konzept, mit lebhaftem
Applaus für das exzellente Gesangsensemble und Ovationen für den faszinierenden
Simon Rattle - Berlin kann sich freuen! (frs)
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