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Fakten zur Aufführung 

ORFEUS
(Brett Bailey)
19. Juni 2009
(Premiere: 16. Juni 2009)

Holland Festival
"Geheime Locatie" Amsterdam


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Musik

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Orpheus afrikanisch

Der (weiße) Südafrikaner Brett Bailey untersucht die ungewisse Zukunft der Orpheus-Wege – bringt den griechischen Mythos in Verbindung mit schwarz-afrikanischen Riten, thematisiert moralisch leidenschaftlich das Elend und (die permanent zerstörte) Würde der ausgebeuteten Afrikaner. Bailey arrangiert eine Reise im verschlossenen Bus in eine Amsterdamer Industriebrache, versetzt Handlung und Zuschauer in einen Kreis um das Lagerfeuer, zeigt Orpheus als Entdecker der Musik als Mittel der Hoffnung und Liebe, schickt die Beteiligten durch eine „Unterwelt“ mit versklavten Kinder-Arbeitern, gedemütigten Frauen und einem „König der Unterwelt“, der seine Macht qua Internet ausübt. Am Ende versammeln sich alle wieder um das leuchtende Feuer, werden mit der Frage konfrontiert, ob der singende Kopf des zerrissenen Orpheus als Symbol der tröstend-hoffenden Menschheit für eine bessere Zukunft „wiederkehrt“.

Das ist als szenische Performance mit dem verdunkelten Bus, den ruinösen Industriegebäuden und der wuchernden Natur ringsum ungemein eindrucksvoll – erinnert an Schlingensiefs „Parsifal“ in Neuhardenberg 2007 - fasziniert durch afrikanische naturreligiöse „naive“ Authentizität und suggestiv-überzeugende Appelle an mit-leidende Humanität.

Bebe Lueki formuliert eine reduziert-wirksame Musik mit sparsamen Gitarren-Harmonien und redundant repetierenden Gesangs-Partikeln – afrikanische Ausdrucksformen, die in ihrer unmittelbar-leisen Intensität völlig neue – fremde - Interpretationen des Orpheus-Mythos vermitteln. Dazu eingespielte Naturklänge von Wasser und Wind, die sich geheimnisvoll vermischen mit den realen nächtlichen Geräuschen der gespenstischen Umgebung. Doch verbleiben alle diese ästhetisch verfremdet-authentischen Formen fast im Esoterischen, beschwören die Zusammenhänge einer humanen „Weltkultur“, vermitteln aber schließlich betroffenes Staunen ob der ungewöhnlichen Konstellationen – und vermögen nicht, emotional-ungebrochene Empörung zu provozieren. Ein erfahrenes Publikum nimmt zur Kenntnis, bewundert „exotisches“ Ambiente und faszinierende Performance – ist aber nicht existenziell betroffen.

Bebe Lueki gibt dem Orpheus magische Statur, artikuliert in rituellem Sprechgesang mit beschwörender Intensität. Andile Bonde ist der naturreligiös verbindende „Magier“ mit intensiver Ausstrahlung. Abey Xakwe führt wie ein afrikanischer Charon mit rigorosem Engagement durch die zerklüftete Unterwelt. John Cartwright vermittelt als König der Unterwelt das inhumane System globaler Herrschaft mit englisch-aristokratischer Arroganz. Nondumiso Zweni verkörpert die geliebte, liebende und missbrauchte Eurydike mit intensiver Körperlichkeit, hat aber wenige Möglichkeiten, sich stimmlich zu identifizieren. (Ein eklatantes Versäumnis der Konzeption und der Regie -- mon dieu, es geht doch um diese Frau ! Und wenn Monteverdi und Gluck sich mit dem Verbleiben im ewigen Dunkel zufrieden gaben, dann ist anno 2009 unter afrikanischem Aspekt doch wohl mehr weibliches Interesse angesagt!) Jane Rademeyer hält die multiperspektivische Geschichte als kommentierende Erzählerin souverän zusammen – wie eine Ikone statuarisch wirkend, ihre Bewegungen suggestiv einsetzend, als Sprecherin mit ungemeiner Prägnanz dominant, in den afrikanisch adaptierten Gesangs-Passagen voll innerer Kraft.

Das Holland Festival hat mit dieser „Performance“ dem europäisch-afrikanischen Dialog einen fantastischen Dienst geleistet; bleibt zu hoffen, dass Brett Baileys Company Wege von Amsterdam ins weitere Europa findet - die RuhrTriennale sollte sich da engagieren! (frs)