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Fakten zur Aufführung 

LUCIA DI LAMMERMOOR
(Gaetano Donizetti)
1. November 2007 (Premiere)

Het Muziektheater Amsterdam
De Nederlandse Opera


Points of Honor                      

Musik

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Ein Alptraum

Lucias Erinnerungen an eine missbrauchte Vergangenheit, ihr hoffnungsloses Vegetieren in einer erbarmungslosen Umgebung, ihr erlösender Tod – erklärt mit psychoanalytischen Ansätzen der gespaltenen Persönlichkeit und religiös-fundamentalistischen Zwängen: Das scheint nicht darstellbar.

Monique Wagemakers allerdings setzt diesen Alptraum archaischer Gewalt um in bezwingendes Bühnenhandeln. Sie spürt den tieferen Schichten der Donizetti-Musik nach, entdeckt verworfene Abgründe und zeigt bislang unbeachtet gebliebene Charakterzüge der Figuren – und bringt die Protagonisten in frappierende Konsonanz mit der Musik.

Frank Philipp Schlössmann baut einen riesigen hermetischen Raum in tiefschwarzem Ambiente. Als Highlight ein riesiges schwarzes Sofa, auf dem Lucia die Puppen ihrer Traumatisierung platziert. Es ist der Moment, in dem sich die inszenatorischen Intentionen vermitteln, in dem das interessierte Zuschauen und Zuhören zum emotionalen Mit-Leiden wird.

Paolo Carignani dirigiert das Nederlands Kamerorkest in vollendeter Übereinstimmung mit dem Bühnengeschehen, beginnt hochdifferenziert, verliert sich phasenweise in puren Klangrausch, findet aber wieder zu beschwörender Intensität. Genial die Idee, eine Glasharmonika (Sascha Reckert) als Begleitung für Lucias „Flöten-Duett“ zu wählen!

Alastaire Miles verkörpert den Raimondo als klerikalen Intriganten, als eigentlichen Initiator des unmenschlichen Geschehens; darstellerisch und stimmlich rollenbestimmend, mit unvergleichlich präziser Intonation und sicherem Ausdruck des Diabolischen. Tassis Christoyannis verleiht dem Enrico den gestörten Charakter des extern Gesteuerten, verfügt stimmlich über die adäquaten Zwischentöne. Ismael Jordi gibt den emotional ambivalenten Edgardo mit hellem Tenor, beeindruckt mit intensivem Ausdruck auch in den unangestrengten Höhen.

Mariola Cantareros Lucia ist das zerquälte Opfer, zugleich hilflos ausgeliefert ihren psychischen Zwängen. Stimmlich werden diese unerträglichen Qualen zu einer fast unmöglichen Herausforderung - die von der Sängerin grandios bewältigt wird! In den exaltierten Phasen zu Schärfen neigend, in der Mittellage intensiv ausdrucksstark, insgesamt von geschmeidiger Kraft.

Mit dem Arturo von Gioacchino Lauro Li Vigni, der Alisa von Anna Steiger und dem Normanno von Roberto Covatta agiert im Amsterdamer Muziektheater ein Ensemble, das die Essenz des Belcanto-Gesangs in ihrer ganzen Fülle vermittelt: Alle stimmlichen Varianten und Exaltationen im Dienst des Ausdrucks extremer menschlicher Gefühle! Der Chor van de Nederlandse Opera (Martin Wright) geistert lemurenhaft über die Bühne, ist personifizierte kollektive Gewalt – und singt mit bezwingender Konsistenz.

Das kundige Amsterdamer Publikum lässt sich auf die irritierende Deutung des Dramas ein, lässt sich von der Atmosphäre gefangen nehmen, erkennt die außergewöhnlichen Leistungen der Sänger und Musiker – und erhebt sich spontan zu standing ovations. Ein bewegender Abend, abseits aller Opern-Konvention, wird zum Fanal für das Musiktheater! (frs)