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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
7. Februar 2010
(Premiere: 1. Februar 2010)

Het Muziektheater Amsterdam
De Nederlandse Opera


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Killer Erik

Auf der Bühne eine quirlende Männerfreizeit-Szene, der gestylte Kapitän setzt den im Gold glitzernden cruise director als Nachtwache ein; im Hintergrund taucht eine düstere Gestalt auf; es kommt zum Dialog zwischen Kapitän und Holländer. Gleiche Szene: Die hoch attraktive Mary bereitet die Frauen auf den erotischen Empfang der Männer vor – allein Senta sitzt am Spinnrad - im Hintergrund auftauchende dunkle Gestalten, Erik (der Jäger) knallt einen ab. Immer noch dieselbe Lokalität: Senta und Erik, Senta und der Holländer. Dann ein faszinierender Wechsel der Perspektive: Auf der Bühne die dunklen Figuren des geheimnisvoll bedrohlichen Schiffs: Klandestini, Schiffs-Flüchtlinge, Asylbewerber - die Seeleute und Frauen aus dem Off. Finale: Der Jäger Erik erschießt den Holländer und Senta.

Das ist Zeit-Oper in extravaganten Bildern, konkrete gesellschaftliche Dramatik in ihren kontrastierenden Chiffren.

Doch Martin Kušej ignoriert die Differenz zwischen Menschheitsdrama und konkreter humanitärer Problematik, findet weder eine Deutung für die Leiden der boat people – lässt sie vielmehr als amorph bedrohliche schwarze Masse erscheinen – noch werden differenzierte Ablehnungs-Strukturen erkennbar: Die – gelungene! - Karikatur einer an Sex und Luxus orientierten Welt ist da ziemlich platt.

Das entscheidende Manko: Es fehlt das Transzendierende!

Daß Kušej in der Lage ist, frappierende Bewegungen der Chöre zu inszenieren, Beziehungen zwischen den Akteuren zu installieren – das steht außer Frage.

Martin Zehetgruber schafft kommunikative Bühnenräume, getrennt durch eine gläserne Wand mit Fenstern und Türen – im hinteren Teil als Wellness-Pool, zugleich „Strand“ der Flüchtigen und Ort ihrer tödlichen Bedrohung.

Hartmut Haenchen interpretiert mit dem nicht so ganz perfekten Nederlands Philharmonisch Orkest einen entsprechend „unpathetischen“ Wagner-Klang – verzichtet auf eruptive Dynamik, auf elementare Naturgewalten, auf überwältigende Emotionalität. Es vermittelt sich die Atmosphäre kommentierender Musik, intensiv deutend – aber ohne letztlich eigene Inspiration.

Robert Lloyds Daland ist der charmierende Kreuzfahrt-Kapitän, mit eher leichter Attitüde, stimmsicher, ohne nachhaltige kontroverse Auseinandersetzung mit dem Holländer. Und der gewinnt mit Juha Uusitalo enorme stimmliche Statur – doch bleiben seine Motive in dieser Inszenierung im (gewollten?) Dunklen. Catherine Naglestad ergreift mit der Darstellung einer empathischen Senta, vermittelt mit ihrer fantastisch wandlungsfähigen Stimme den existenziellen Zwiespalt von Hoffnung und Realität. Marco Jentzsch ist der gnadenlose Jäger – stimmlich überaus präsent, mit gelungenen heldentenoralen Stärken und überzeugendem Durchhaltevermögen. Marina Prudenskaja fasziniert zunächst mit ihrer modelhaft-perfekt präsentierten Figur – aber sie gibt der Mary nachhaltige Stimme: ein einprägsamer Mezzo mit sowohl aggressiven als auch persuasiven Klängen, ohne jede Schärfen. Oliver Ringelhahn wird mit der „Steuermann“-Karikatur angemessen fertig, singt mit perfekter Intonation – interpretiert mit ausgeglichen eingesetzter tenoraler Kompetenz. Der Koor van de Nederlandse Opera (Leitung Martin Wright) beeindruckt nicht nur durch grandiose Spielfreude, sondern präsentiert sich als Chor der Seeleute, der Frauen und der Holländer in großartiger Form!

Das Publikum in Het Muziektheater Amsterdam ist von den attraktiven optischen Angeboten hingerissen, verfolgt das so unerwartete Geschehen mit Lust und bejubelt Orchester und Gesangs-Solisten – doch bleibt bei vielen der Zweifel an der sinnhaften Gültigkeit der „Dekonstruktion“ des Wagner-Werks. Franz R. Stuke