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Fakten zur Aufführung 

DIE GEZEICHNETEN
(Franz Schreker)
3. Juni 2007
(Premiere: 18.5.07)

De Nederlandse Opera
(Het Muziektheater Amsterdam)

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Utopien und Begierden

Schrekers Komposition ist ein Über-Angebot an Musik in der Wagner-Nachfolge, durchsetzt mit Anklängen an den französischen Impressionismus, aber auch an den Verismo, bisweilen mit gewollten Verweisen auf Richard Strauss, dann auch wieder mit Elementen der Musik der Zwanziger Jahre. Der hochgebildete Schreker – Direktor der Berliner Musikhochschule von 1920 bis 1931 – gerät aber nie in den Verdacht eines Eklektikers, vermittelt vielmehr eine sehr eigene Musiksprache, orientiert am expressionistischen Zeitgeist mit starken Bezügen zur Psychoanalyse. In Amsterdam geht Ingo Metzmacher mit dem perfekten Koninklijk Concertgebouworkest diesen Spuren nach und legt gebrochene Seelenzustände offen - klanglich höchst differenziert, mit dramatischen Wechseln der Instrumentengruppen und – vor allem – einer schier unglaublichen Dynamik.

Das Solisten-Ensemble – zum großen Teil identisch mit der aus Stuttgart übernommenen Produktion – leistet Bewundernswertes in Sachen expressiven Gesangs. Gabriel Sade entäußert sich auch körperlich, lässt sexuelles Begehren und Scheitern des Utopisten Alviano schonungslos hörbar werden. John Wegner als Adorno und Wolfgang Schöne als Lodovico verkörpern die Hilflosigkeit der Genueser Obrigkeit gegenüber den Auswüchsen der Utopia „Elysium“. Jeanne-Michele Charbonnet verleiht der berechnenden Malerin Carlotta mit ihrer eher herben Stimme ambivalente Statur. Weitere zwanzig Rollen sind hochkarätig besetzt – u.a. Scott Hendricks, Fredrika Brillembourg, Roger Smeets – und lassen ein gespenstisches Panoptikum psychischer Defekte und politischer Skrupellosigkeit nachvollziehbar werden.

Martin Kusejs Regie gelingt es in beklemmender Weise, die beiden Seiten des Schreker-Dramas – Elend der Utopien und sexuelle Desorientierung – zu verzahnen, Wilhelm Reichs politische Sexualtheorie ist zu ahnen. Kammerspielartig verengt bestimmt zum Teil drastische Körperlichkeit die Szene.

Martin Zehetgrubers monumentaler Bühnenbau erinnert an ein leeres Hochregallager, gibt beim Verschieben der Elemente den Blick frei auf eine unscharfe Spiegelwand. Auch hier: Verweise auf die Zwänge der Utopie und unbegriffener Sexualität.

Das Amsterdamer Publikum braucht Zeit, um die komplexe Musik- und Zeichen-Bedeutung einzuordnen, die folgende Anspannung löst sich in hochachtungsvollem Applaus für die Beteiligten, auch für den scheidenden Ingo Metzmacher. (frs)