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Fakten zur Aufführung 

IOLANTA
(Peter Iljitsch Tschaikowski)
PERSEPHONE
(Igor Stravinsky)
11. Juli 2015
(Premiere am 5. Juli 2015)

Festival Aix-en-Provence


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Russische Raritäten kunstvoll ausgepackt

Die Kombination dieser beiden Werke stammt von Regisseur Peter Sellars, der insbesondere in der Verbindung der beiden russischen Komponisten den Bezug sah. Igor Stravinsky war ein großer Verehrer der Musik seines Landsmanns Tschaikowski und bemühte sich um eine Wiederbelebung seiner vergessenen Werke. Dabei schreckte er auch nicht davor zurück, eigene Kompositionen direkt aus dessen Schaffen zusammenzustellen. Sein Werk Der Kuss der Fee aus dem Jahr 1930 wurde deshalb stark angegriffen. Kurz darauf schuf er Persephone, ein außerordentliches Werk im Auftrag der wohlhabenden Tänzerin Ida Rubenstein. Die Musik des Oeuvres ist von eindrucksvoller Feinheit, grazil und nach innen gekehrt und entspricht so nicht dem eigentlich Musikstils Stravinskys. Ähnlich herausragend ist auch die letzte Oper Tschaikowskis in seinem Schaffen. Obwohl es seine einzige Oper mit glücklichem Ende ist, lässt sich sein Lebensschmerz wohl erahnen. Sellars ergänzt hier das Werk mit einer weiteren Rarität aus dem Schaffen Tschaikowskis. Als Hymne auf die Heilung Iolantes als auch als Apotheose an das Licht und Gott fügt er sehr gelungen eine liturgische A-Capella-Komposition, Hymne an den Cherubim, ein. Bleibt nur noch zu ergänzen, dass dieses Werk auch einen besonderen Bezug zu Aix und zur Provence hat. König René d'Anjou, der liebevolle und ritterliche Vater Iolantes, ist der dort hochverehrte König René der Gute, der im 15. Jahrhundert ein Reich von der Loire bis nach Neapel regierte und 1480 in Aix verstarb. Über eine wahre Blindheit seiner Tochter Iolante ist historisch nichts überliefert.

In der szenischen Umsetzung bleibt Regisseur Sellars sehr zurückhaltend und unterwirft sich der musikalischen Schlichtheit der beiden Werke. Die Bühne von George Tsypin zieren lediglich vier schwarze Türstöcke mit kubistischen Skulpturen verziert. Den Hintergrund bilden große, monochrome Leinwände, die abwechselnd heruntergelassen werden und stimmungsvoll in der Lichtregie von James Ingalls ausgeleuchtet werden. Licht spielt ja in beiden Werken eine zentrale Rolle. Das Sehen und das Augenlicht Iolantes und Persephones: Wechsel zwischen Erde und Unterwelt. Die Bewegungen von Chor und Solisten sind reduziert. Der Eindringlichkeit der Musik wird Rechnung getragen und oft wird dem Publikum zugekehrt und von der Rampe gesungen. Das ist besonders bei einer blinden Iolante von hoher Wirkung.

Musikalischer Partner von Sellars in dieser Produktion ist der junge griechische Dirigent Teodor Currentzis, der mit seinem Schaffen an der Oper von Perm im fernen Sibirien viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die beiden haben bereits mehrfach zusammengearbeitet. Sein Dirigat des Chores und Orchesters der Oper von Lyon ist unaufdringlich, aber wirkungsvoll durch Klarheit und Intimität. Er sucht keine breiten, romantischen Klangvolumen. Es gelingt ihm, trotz großen Orchesters bei Tschaikowski nie überladen zu sein. Im Tempo schwungvoll, vermeidet er auch melancholische Breite. Er achtet auf die Sänger, lässt dem Orchester aber viel Raum.

Das spürt Ekaterina Scherbachenko als Iolante mit einer feinen, jungen, frischen, förmlich mädchenhaften Sopranstimme. Sie findet sich in der Rolle gut zurecht und setzt auch die Angst und Freudenmomente richtig um. Der junge Tenor Arnold Rutkowski wird zu Beginn als indisponiert angesagt, überzeugt aber anschließend mit einer eindrucksvollen Leistung. Sein Schmelz überzieht das Liebesduett mit der nötigen emotionalen Glasur. Dmitry Ulianov wirkt herrschaftlich in seinem sonoren Bass und lässt auch nicht die Wärme des leidenden Vaters vermissen. Willard White ist ein steifer, maurischer Medizinmann, der seinen Part sicher erfüllt. Der Chor der Oper Lyon, einstudiert von Bodhan Shved, verleiht der liturgischen Ergänzung monumentale Würde mit kraftvoller Wirkung.

Nach der Pause erfolgt ein deutlicher Stimmungswechsel auf der unveränderten Bühne. Monochrom harmonisch wirkt der Sprung zu Stravinsky, zu dessen Kammermusik mit einer Gesangsstimme, Eumolpe, fein ausgefeilt gesungen von Tenor Paul Groves, und der gesprochenen Rolle von Persephone, technisch verfeinert die Stimme von Dominique Blanc. Die Handlung wird durch Tänzer umgesetzt. Hier hat Peter Sellars die kambodschanische Gruppe Amrita Performing Arts eingeladen. Diese Künstler widmen sich der Wiederentdeckung des traditionellen Tanzes ihres Heimatlandes, der durch das grausame Pol-Pot-Regime ausgelöscht wurde. Mit unglaublicher Beweglichkeit und Gleichgewichtsbeherrschung vollbringen die Tänzer langgezogene, in sich fließende Bewegungen, jeder Finger für sich ein Element, mit maskenhaftem Gesichtsausdruck. Es sind schöne Bilder, ästhetisch-kunstvolle Bewegungen, aber die Ausdruckskraft zum Handlungsballett fehlt. Hier helfen Chor, die Solisten und besonders das Orchester unter Currentzis, die dem Werk Leidenschaft, Leid und Freude einhauchen. Dabei dominieren Taktgenauigkeit, fein abgestimmte Tempi und Expressivität in der Orchestrierung.

Auch dieser Abend vor ausverkauftem Haus wird mit viel Beifall vom Publikum aufgenommen und rechtfertigt das Ansehen der Festspiele von Aix, wie auch der Besuch des neuen künstlerischen Leiters der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, zeigt.

Helmut Pitsch

 

Fotos: Patrick Berger