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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
13. September 2015
(Premiere)

Theater Aachen


Points of Honor                      

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Wenn Tyrannen zu sehr lieben

Zum Saisonauftakt lässt es das Aachener Theater mächtig krachen. Puccinis Tosca geizt ohnehin nicht mit dramatischen Knalleffekten aller Art. Generalmusikdirektor Kazem Abdullah und der ansonsten eher asketisch zurückhaltend agierende Regisseur Ludger Engels lassen darüber hinaus keine Gelegenheit aus, die Schlagkraft des Opern-Thrillers noch zu verstärken. Teils mit legitimen, teils mit fragwürdigen Mitteln. Im relativ kleinen Aachener Theater ist es nicht einfach, das Orchester soweit zurückzuhalten, dass sich die Sänger ohne dauerhaften Krafteinsatz durchsetzen können. Abdullah nimmt darauf wenig Rücksicht und prescht munter, lautstark, mit vorwärtsdrängender Schubkraft durch den Abend, lässt das Orchester am Premierenabend mächtig dröhnen und bringt die Sänger nicht selten in Verlegenheit. Damit hat vor allem Christian Tschelebiew seine Not, der dem Scarpia nur wenige hintergründige Fassetten abgewinnen kann. Freilich nicht nur durch den orchestralen Gewaltritt, sondern auch durch die problematische Regie Engels, der mit der absurden Charakterisierung des üblen Polizeichefs arg am Werk vorbeischrammt.

Scarpia verliert bei Engels angesichts seines sexuellen Notstands im Te Deum geradezu das Bewusstsein, macht sich an kleine Chormädchen heran und zieht sich kleinlaut zurück, wenn Tosca zum Gegenangriff antritt. Scarpia ein verklemmter, spießiger Päderast, den die Hormone wie einen pubertierenden Primaner quälen? Dass er die Kontrolle über sich und die gesamte Handlung über seinen Tod hinaus fest in Händen hält und die Erfüllung gerade darin findet, eine moralische Festung wie die keusche Tosca zu stürmen und die tiefgläubige Klosterschülerin in Hassgefühle zu stürzen, wischt Engels beiseite. Dabei zeigt sich gerade darin Scarpias gefährliche Stärke und Intelligenz. Und nicht zuletzt das Charisma einer grandiosen Bühnenfigur. Was sollte einen solchen Mann an eingeschüchterten Schulmädchen reizen?

Damit bringt Engels ausgerechnet den zweiten Akt um seine überwältigende Wirkung. Zumal auch Tosca nur eine eingeschränkte Charakterisierung erfährt. So fromm, mildtätig und sensibel die Figur geformt ist, so sehr wird sie von der Eifersucht geplagt. Dieser Makel wird in vielen Inszenierungen nur beiläufig beachtet. Das ist anfechtbar, aber kein Grund, die Tosca durchweg als wütende Furie zu inszenieren, die ihre Frömmigkeit fast bigott erscheinen lässt. Gipfelnd im Finale des zweiten Akts, als sie die Leiche Scarpias mit ungebrochenem Hass und triumphierender Überlegenheit verlässt, anstatt die lange Schlussmusik dazu zu nutzen, für die sie gedacht ist: nämlich Scarpia den letzten christlichen Dienst zu erweisen und seine Leiche mit Kerzen und einem Kruzifix zu schmücken.

Auch wenn es aus der Mode gekommen ist, sich buchstabengetreu an Regieanweisungen zu halten, ist es nicht nur ratsam, sondern dringend geboten, sich im Falle der Tosca an die bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Dramaturgie des Librettos und der Partitur zu halten. Ansonsten gerät die psychologisch so filigran gestrickte Geschichte zu einer fast banalen Revolvergeschichte. Unter anderem mit dem Effekt, dass die ethische Distanz zwischen Scarpia und Tosca schrumpft und ein wesentliches Spannungsfeld des Stücks verlorengeht.

Dass Scarpia seinen brutalen Polizeiapparat mit Wohlwollen und im Interesse der katholischen Kirche exzessiv in Bewegung halten kann, zeigt die Inszenierung recht überzeugend, wenn der Papst dem Te Deum, aber auch der Hinrichtung Cavaradossis beiwohnt. Dass der Mesner sowohl als Kirchendiener als auch als Scherge Scarpias agiert, ist ein pfiffiger Einfall. Die Übermacht der Kirche zeigt sich auch im Bühnenbild von Christin Vahl. Die Projektion des Innenraums der Kirche St. Andrea della Valle erscheint, zumindest zeitweise, in allen drei Akten.
So schön die kleine Amelie Boeven das Hirtenlied vorträgt, so putzig sie als Projektion der kindlichen Tosca über die Bühne hüpft und nach Toscas Todessprung vom Bühnenhimmel wie ein Engelchen herabschwebt: Der Sinn dieses Kunstgriffs will sich nicht so recht erschließen.

Schade, dass sich in diesem Umfeld Christian Tschelebiew als Scarpia nicht so nuanciert einbringen kann, wie man es seiner Stimme und seiner Persönlichkeit zutraute. Vokale Feinheiten werden vom Orchester übertönt, psychologische Finessen von der Regie. Er steht zeitweise auf verlorenem Posten.

Einfacher hat es da Adriano Graziani als Cavaradossi, der unkompliziertesten Figur des Protagonisten-Terzetts. Der Italiener, der relativ kurzfristig für einen erkrankten Kollegen eingesprungen ist, besticht durch seine Stimmgewalt, seine tenorale Strahlkraft und seine emphatischen Interpretationen der beiden Bravour-Arien. Irina Popova in der Titelrolle lässt als eifersüchtige Hetäre die Schärfe ihrer Höhen noch schneidender erklingen als sonst. Schön gelingen ihr die lyrischen Passagen, auch ihre große Arie. Allerdings kann sie angesichts des Regiekonzepts die sensiblen Dimensionen ihrer Rolle nur bedingt aus- oder wenigstens anspielen.

Mit mächtiger Stimme gestaltet Jorge Escobar den Mesner und Pawel Lawreszuk drückt als Mesner glaubhaft die Zwielichtigkeit der Figur aus. Der Chor unter Leitung von Elena Pierini singt ohne Fehl und Tadel.

Das Publikum feiert vor allem Irina Popova und Adriano Graziani sowie den Generalmusikdirektor überschwänglich, während sich in den Beifall für das szenische Team auch einige Buh-Rufe einschlichen. Ein publikumswirksamer, wenn auch dem Werk nur bedingt gerecht werdender Saisonauftakt.

Pedro Obiera

Fotos: Will van Iersel