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Fakten zur Aufführung 

DER FREISCHÜTZ
(Carl Maria von Weber)
6. Februar 2015
(Premiere am 1. Februar 2015)

Theater Aachen


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Jägerromantik im Niemandsland

Der Freischütz ist ein sonderbar Ding: Kein Opernhaus kann und mag auf die Schönheiten der ersten echten und großen „deutschen“ Oper verzichten, aber kaum jemand vermag so recht etwas mit ihr anzufangen. Zu stark scheinen die Qualitäten der Musik und die Schwächen des Librettos auseinanderzuklaffen, zu verstaubt mutet die krude Märchenhandlung an. Somit bleibt es in der Regel bei mehr oder weniger unbefriedigenden Notlösungen vom schlichten Schauermärchen bis zur bösen oder – wie jüngst in Köln – albernen Karikatur. Merkwürdig, dass kaum jemand wahrnehmen will, dass das Stück in der Zeit des 30-jährigen Kriegs spielt. Ein Umfeld, in dem die Ängste der Menschen, die religiösen und abergläubigen Wahnvorstellungen realer wirken können, als die Handlung vermuten lässt. Der damalige Intendant Paul Esterházy hat das Werk am Aachener Theater vor zwölf Jahren mit eiserner Konsequenz in die von Ängsten zerfurchte Innenwelt der Protagonisten verlegt und damit eine der besten und überzeugendsten Inszenierungen weit und breit geschaffen.

Der jüngste Versuch am Aachener Theater ist davon weit entfernt. Martin Philipp, bisher in Aachen vor allem als Regisseur von Schauspielen und Kinderopern hervorgetreten, gelingt das Kunststück, den Freischütz ohne jede konzeptionelle Substanz wie ein Stück aus einem fernen Niemandsland abrollen zu lassen. Die Handlung tastet sich brav und konturlos durch den Abend. Keine psychologische oder soziale Fassette erhält ein pointiertes Profil. Vom frisch gewaschenen Bauernvolk bis zum schneidigen Fürsten Ottokar und dem rauschbärtigen Eremiten klammert sich Philipp an die Papierform des Librettos und überlässt die Deutung der klischee- und rätselhaften Handlung den Sängern und dem Publikum. Und was den „Teufelskerl“ Samiel angeht, kneift er vollends. Der erscheint als magisches Auge, wobei in der ausgesprochen langweilig inszenierten Wolfsschlucht-Szene Kaspar ohne erkennbaren Sinn den Sprechpart des Bösewichts übernimmt.

Auch die phantasievoll ausgemalte Waldlandschaft von Bühnenbildner Detlev Beaujean enthält sich in ihrer abstrakten Neutralität jeder Deutung. Ein derart gesichtsloser Freischütz erweitert die endlose Liste verfehlter Inszenierungen um eine neue Pointe.

Solche szenischen Nulllösungen trüben den Gesamteindruck und bringen die Sänger um manche Chance. Dabei könnten gerade so erfreulich junge Sänger wie die des Aachener Ensembles noch manche Hilfe brauchen, doch bleiben sie hier, wie auch der Chor, fast auf sich allein gestellt. Dennoch geben alle ihr Bestes, so dass das vokale Niveau, wie so oft, die szenischen Schwächen zu einem guten Teil aufwiegen kann. Am Pult gibt Justus Thorau, frischgebackener Erster Kapellmeister am Theater Aachen, seinen Einstand. Mit großem körperlichem Einsatz sucht er sein Heil in starken Tempokontrasten. Extrem langsame Passagen und, nicht immer nachvollziehbar, ungewöhnlich ausgedehnte Generalpausen wechseln mit feurigen Husarenritten, bei denen es zu etlichen Wackelkontakten zwischen Orchester und Bühne kommt. Dass das Orchester durchweg zu stark klingt, lässt sich in Aachen offensichtlich nicht vermeiden.

Die Französin Camille Schnoor verkörpert eine berückend jugendliche Agathe von mädchenhafter Unschuld und setzt mit ihrem großen, substanzreichen Sopran besonders erfreuliche Akzente. Dass sie gelegentlich Vokale eindunkelt, sollte sich abstellen lassen. Über einen ausgesprochen schönen, Mozart-geschulten Tenor verfügt Johan Weigel als Max. Auch an tenoraler Strahlkraft mangelt es seiner Stimme nicht. Schade, dass er wiederholt zu tief intoniert.

Ein darstellerisch und stimmlich quicklebendiges Ännchen präsentiert Rosemarie Weissgerber, während Woong-jo Choi den Kaspar zu einseitig als dröhnenden Kraftprotz anlegt. Ohne Fehl und Tadel die Besetzung der kleineren Rollen, so dass sich das Aachener Theater über ein exzellentes Ensemble freuen kann, mit dem sich die meisten Partien gleich zwei- oder dreimal bestücken lassen.

Das hörbar erkältete Publikum geizt nicht mit Zwischenbeifall und bedankt sich mit sichtlicher Begeisterung für eine Produktion, die zur Problemlösung des Freischütz nicht das Geringste beitragen kann.

Pedro Obiera

Fotos: Ludwig Koerfer