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Von Moral wird man nicht satt


 
 

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Oper poor

In Wuppertal hat der designierte Opernintendant, Toshiyuki Kamioka, oder besser sein Stellvertreter, Joachim Arnold, den Spielplan der kommenden Spielzeit vorgestellt. Motto: Vor der Kunst kommt das Geld. Damit das funktioniert, haben die Juristen fleißig am Spielplan mitgearbeitet.

Üblicherweise ist der Spielplan das Aushängeschild der Oper. Da werden auf vielen Seiten die Werke, Leitungsteams, Sängerinnen und Sänger der kommenden Saison vorgestellt, gerne in opulenter Grafik mit vielen Fotos, Vierfarbdruck und Sonderfarben. Die Intendanz stellt damit erstmalig unter Beweis, wie ambitioniert sich die Oper in der nächsten Spielzeit zeigen wird. Das ist auch in der Oper Wuppertal so. Ein Faltblatt in einer handwerklich miserablen Qualität reicht hier aus, um die Premieren anzukündigen: Tosca, Don Giovanni, Parsifal, Salome und die Johannes-Passion in einer szenischen Aufführung sind schnell abgearbeitet. Vergeblich suchen die Wuppertaler Bürgerinnen und Bürger in den Neuproduktionen nach bekannten Namen. Grund: Das Sängerensemble ist komplett gekündigt. Stattdessen spricht Joachim Arnold, stellvertretender Intendant der Oper, von seinem Ensemble-Verständnis. „Das Ensemble in einer modernen Version des 21. Jahrhunderts ist, so wie der französische Name ensemble – zusammen, gemeinsam – sagt, eine Gemeinschaft, die für ein bestimmtes Projekt oder eine bestimmte Zeit zusammen arbeitet. Und das tun wir hier in Wuppertal hundertprozentig.“ Wenn neue Definitionen bemüht werden, so haben es neoliberale Argumentationen im Bundestag in der jüngeren Vergangenheit immer wieder gezeigt, ist das ein Zeichen, hellhörig zu werden. „Es gibt keinen Festvertrag NV Solo ganzjährig“, sagt Arnold schließlich. Selbstverständlich sei das juristisch abgesichert, versichert Enno Schaarwächter, Kaufmännischer Geschäftsführer. Im Klartext heißt das: Die zehn Sängerinnen und Sänger des Ensembles unter dem bisherigen Intendanten Johannes Weigand haben keine Vertragsverlängerung bekommen. Auch Kapellmeister wird man in Wuppertal zukünftig nicht mehr benötigen. „Der Generalmusikdirektor wird fast alle Neuproduktionen einstudieren und bis zum Ende dirigieren. Was in der deutschsprachigen GMD-Landschaft eine absolute Ausnahme ist“, freut sich Arnold. Dass das eine Ausnahme ist, hat allerdings auch einen guten Grund. Ganz abgesehen davon, dass so ein Generalmusikdirektor auch mal krank wird, sieht ein Opernhaus sich, nicht ohne Berechtigung, auch als Ausbildungsbetrieb. Und das wird auch in Wuppertal so gesehen. Zwar nicht, was Dirigenten angeht, aber wenn es um Sänger und Sängerinnen geht. Oder zumindest so ähnlich. In der Stadt mit der Schwebebahn wird es in der kommenden Spielzeit eine Art Opernstudio geben. „Es gibt niemanden von den jungen Sängern, die sich gewünscht hätten, hier ein Festengagement für ein Jahr oder eben zwei Jahre zu bekommen, beispielsweise zu einer Mindestgage, um dort die wenigen Produktionen, die in Frage kommen, zu singen, um dann hier ein Jahr zu verbringen“, teilt Arnold dem staunenden Publikum mit, das sich gerade jeder gesunden Menschenkenntnis und Lebenserfahrung beraubt sieht. „Teilweise sind sie noch Studierende oder haben ihren Abschluss. Aber es sind fertige Sänger. Sie haben alle ihre Ausbildung abgeschlossen oder zumindest eine sängerische Ausbildung abgeschlossen“, versucht der stellvertretende Intendant das Gerücht zu entkräften, man wolle an der Oper zukünftig auch nicht ausgebildete Sängerinnen und Sänger beschäftigen.

Hier kann jeder alles

Auch in der Administration wird es Veränderungen geben. Die bisherigen Theaterpädagogen werden nicht weiter beschäftigt. Stattdessen wird sich eine „junge Frau, die sich auch für PR und Marketing interessiert“ in Zukunft darum kümmern, Schüler und Studenten für die Oper zu begeistern. Das führt zu einem veränderten Verständnis von Professionalität. „Es gibt eigentlich nicht unbedingt eine Trennschärfe zwischen: Der macht PR, der macht Marketing, der macht nur Education. Sondern die Themen werden komplett von den Leuten mit ihren Profilen, die sie mitbringen in dieses Haus, abgearbeitet. Und das bedeutet, es gibt tatsächlich ein Team. Das bedeutet, jeder einzelne Mitarbeiter schaut über den Tellerrand hinaus“, beschwört Arnold eine Arbeitsweise, die man aus kleinen Redaktionen, der so genannten Freien Szene oder kleinen Musical-Produktionen kennt. Das Opernhaus als Studentenbude? Das ist ein gewagtes Experiment.

Juristisch scheint alles einwandfrei

Ein Wagnis allerdings ist Oberbürgermeister Peter Jung nicht eingegangen. „Das Musical ist ad acta gelegt. Und es wird auch kein Musical geben. Ich habe, um Schaden durch eine weitere Diskussion von den Wuppertaler Bühnen zu wenden, Herrn Arnold und Herrn Kamioka gebeten, auf dieses Musical zu verzichten, weil ich nicht will, dass dann zwischen den Zeilen weiter diskutiert wird. Man kennt das ja. Wenn keine strafrechtliche Relevanz da ist, dann findet man etwas anderes, worüber man diskutieren kann“, gibt Jung auf Nachfrage bekannt. Noch vor einigen Tagen hatte er die Auffassung vertreten, es sei vollkommen korrekt, dass der designierte Intendant Kamioka 25 Aufführungen der Musical-Produktion seines Stellvertreters einkauft. Und hat auch das, so sagt er, juristisch prüfen lassen. Dass es neben einer rechtlichen Fragestellung möglicherweise auch eine moralische gibt, erwähnt er nicht. Von der Moral wird man nicht satt. So einfach können Weltbilder sein. Das betrifft auch durchaus die Schicksale eines ganzen Opernensembles.

„Wir wollen auch weiterhin Sprungbrett sein für junge Sänger, die hier auch die eine oder andere Partie erproben können“, schließt Peter Jung. Das ist die Oper Wuppertal ganz sicher. Zehn junge Sängerinnen und Sänger haben das Sprungbrett betreten. Jetzt können sie sehen, auf welcher Bühne sie landen. In Wuppertal jedenfalls nicht.

Michael S. Zerban, 13.3.2014

 


Toshiyuki Kamioka ist designierter
Intendant der Oper Wuppertal und
Generalmusikdirektor.


Joachim Arnold führt als
stellvertretender Intendant das Wort
an der Oper Wuppertal.


Peter Jung, CDU, ist OB der Stadt
Wuppertal und findet großartig, was
sich an der Oper Wuppertal entwickelt.


Enno Schaarwächter ist der
Kaufmännische Geschäftsführer der
Oper Wuppertal Er hat alles, wie er
sagt, juristisch abgesichert.

Fotos: Opernnetz