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Festival in Charleston, USA


 
 

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Ruhelose Seelen

Mit einem Programm von Opernraritäten bewährt sich das Spoleto Festival USA, das vom 24. Mai bis zum 9. Juni stattfand, auch in diesem Jahr als führende Kulturinstitution der Vereinigten Staaten. Das Spektrum erstreckt sich von der amerikanischen Erstaufführung Toshio Hosokawas Matsukaze bis zu einer Doppelvorstellung von Giacomo Puccinis erster Oper Le Villi und Umberto Giordanos Mese Mariano. Obgleich Puccinis früher Verismo mit Hosokawas Nô Theater - Matsukaze ist ein bekanntes Werk der japanischen Tradition - auf den ersten Blick wenig gemeinsam hat, spielen in beiden Werken umherirrende Seelen und unerfüllte Liebe eine zentrale Rolle.

Matsukaze, hier in einer deutschsprachigen Bearbeitung von Hannah Dübgen, erzählt von den beiden Schwestern Matsukaze und Murasame, die einst denselben Mann liebten. Auch im Tod sind ihre Seelen immer noch nicht befreit. Als ein buddhistischer Mönch eine Pilgerreise zur Küste macht, wo die Schwestern verpflichtet sind, Salz zu ernten, flehen sie diesen um Erlösung an. Das Thema von Le Villi ist die Untreue. Die Hauptfigur Anna wird vor Trauer verrückt, nachdem sie erfahren hat, dass ihr Verlobter Roberto von einer Sirene verführt wurde, so dass sie dem Verbund verlassener Frauenseelen, den so genannten Willis, beitritt. Das Libretto von Ferdinando Fontana ist allerdings nicht ohne dramaturgische Schwächen — die ungefähr einstündige Oper springt allzu plötzlich vom Banalen in die Welt des Jenseitigen.

In dieser Hinsicht ist die Inszenierung von Stefano Vizioli im Sottile Theater des Colleges of Charleston ein Triumph. Anna erscheint im zweiten Akt in einer psychiatrischen Anstalt, und die Willis als dämonische Patienten, die in ihren Kitteln eine geblümte Tapete von den Wänden reißen, bevor Robert, von der Macht ihres Tanzes getötet, zu Annas Füßen liegt. Das passende Bühnenbild stammt von Neil Patel. Packend auch Viziolis Dramatisierung von Mese Mariano, deren Handlung eine Art Vorläufer von Puccinis Suor Angelica bildet: In einem katholischen Waisenhaus stirbt ein Junge, noch bevor seine Mutter Carmela ihn sehen kann, während die Schwestern sie vor der Wahrheit schützen. Vizioli malt die tragischen Elemente, ohne kitschig zu werden, mit einer Betonung der Menschlichkeit — oder pures Verismo — der Geschichte, der niemand entkommen kann. Auch Patel trägt zu der Vision mit einer übergroßen Kinderzeichnung im Hintergrund bei.

Die amerikanische Nachwuchskoloratursopranistin Jennifer Rowley, die trotz gesundheitlicher Probleme beide Hauptrollen in der fünften Vorstellung vom 2. Juni übernimmt, wandelt sich reibungslos von der erfahrenen, untröstlichen Carmela in die jungfrauliche Anna, die sich dem Wahn unterwirft. Ihre Stimme blüht im Laufe des Abends samt auf, wie etwa in der anschließenden Szene von Mese Mariano, in der sie verspricht, den Befehl der Suor Superiora zu gehorchen. Der reife, kommandierende Sopran von Linda Roark-Strummer ist für die Rolle der Schwester wie maßgeschneidert. Weitere Höhepunkte sind die Mezzosopranistin Anna McMahon Quintero in der Rolle der Suor Pazienza sowie der hinreißende Kinderchor.

In Le Villi braucht Rowleys Partner Roberto, der junge Tenor Dinyar Vania, etwas Zeit, seine Stimme zu aufzuwärmen, überzeugt aber im zweiten Akt, wie etwa in seiner Arie O sommo, Iddio. Roberto Diaz steuert in der Rolle des Guglielmo, Annas Vater, seinen warmen Bariton bei. Der Westminster-Chor demonstriert starkes musikalisches Können als die Willis. In beiden Opern leitet Dirigent Maurizio Barbacini das Festival Orchester in authentischen, rhythmisch akzentuierten Interpretationen, die die innere Dramatik der Partituren voll zur Geltung bringen.

Auch Matsukaze profitiert von einer gut durchgedachten Auslegung, sowohl musikalisch als auch darstellerisch. Im Gegensatz zu der von Sascha Waltz choreographierten Oper, wie sie 2011 im Brüsseler Théâtre de la Monnaie als Koproduktion mit der Berliner Staatsoper uraufgeführt wurde, erzählt Regisseur Chen Shi-Zheng die Geschichte mit deutlichen Hinweisen auf die Handlung. Matsukaze und Murasame entpuppen sich zum ersten Mal als gespenstische Lichtprojektionen auf einem kleinen Salzhaus, während die Kiefer — ein Symbol der Natur — wie ein eigenständiges Kunstwerk im Mittelpunkt der Bühne steht. Die Stille des von Chris Barreca gestalteten Bühnenbilds lässt der meditativen Partitur mit ihren beschwörenden Naturklängen — welche östliche Perkussion mit moderner Orchestertechnik nahtlos vereint — entsprechenden Freiraum zum Atmen.

Der Direktor des Festival-Orchesters, John Kennedy, kehrt zu Hosokawas Originalfassung zurück, die für die Waltz-Inszenierung zum Teil mit Elektronikpassagen für Tanzzwischenspiele erweitert worden war. So entsteht im Graben des kolonialen Dock Street Theaters am 4. Juni eine sorgfältig ausgearbeitete Darbietung. Pureum Jo und Jihee Kim bildeten ein starkes Geschwisterpaar, das als zwei Seiten derselben Seele betrachtet werden kann. In der Rolle des Mönchs beeindruckt der Bariton Gary Simpson mit seiner kräftigen Stimme und klarem Sprachduktus.

Das Publikum lobt Kennedy und sein Ensemble mit begeistertem Applaus.

Rebecca Schmid

 


Matsukaze und Murasame entpuppen
sich in der Inszenierung von Chen
Shi-Zeng als zwei Seiten einer
Medaille.


Die Opern als Höhepunkte des
diesjährigen Spoleto-Festivals glänzen
durch ungewöhnliche Optik,
durchdachte Inszenierungen und
hervorragende Sängerdarsteller.


Chinesische Tradition trifft auf
italienische Oper - was zunächst wie
ein Widerspruch klingt, löst sich in
Spoleto in wunderbarer Weise auf.


Le Villi in der Psychiatrie fokussiert
auf die Kernbotschaft der Oper von
Puccini.


Großartige Chöre runden den
gelungenen Gesamteindruck des
Festivals in den USA ab.

Fotos: Julia Lynn