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Lustschloss


 
 

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Attraktiver als Versailles

Das Heidelberger Theater geht mit dem Festival Winter in Schwetzingen ins Lustschloss.

Ein ganz eigener Zauber umgibt das Schwetzinger Schloss, das als Sommerresidenz der kurpfälzischen Fürsten alle Künste in sich vereinigte: die des Bauens, der Gartengestaltung, der Innenarchitektur und der künstlerischen Belebung. Denn das kurfürstliche Hoftheater im frühklassizistischen Stil, 1753 prunkvoll eröffnet und leicht irreführend als Rokokotheater  bezeichnet, diente dem Hausherrn Karl-Theodor zum lustvollen Operngenuss: Seine Hofkapelle, eng mit der Bezeichnung „Mannheimer Schule“ verbunden und Erfinderin des brausenden Crescendo, war damals das beste Orchester der Welt. Nachzulesen unter anderem bei einem gewissen Mozart, der in Mannheim, dem nachbarschaftlich-kurfürstlichen Hauptsitz, sein privates (Un)glück fand. Denn er liebte Aloysia, doch er bekam deren Schwesterherz Constanze.

Aufwändig waren die Renovierungsarbeiten von 1975 bis 1991, doch es hat sich gelohnt. Denn ein künstlerischer Atem durchweht die Anlage, weil die vom Südwestrundfunk veranstalteten Schwetzinger Festspiele die besten Musiker an sich zieht, die auf dem Markt zu kriegen sind. Jedes Jahr im Mai und Juni lässt sich der Besucher von Kammermusik, Oper und Solisten gefangen nehmen, genießt beim Flanieren im Schlosspark Fliederduft und Sonnenuntergang, und ergibt sich zudem dem berühmten Schwetzinger Spargel zu überhöhten Preisen.

So ein prächtiges Ambiente giert nach zusätzlicher Nutzung. Die Schwetzinger Mozartgesellschaft bietet Konzerte an, das Mannheimer Nationaltheater lässt seinen Mozartsommer hören, und während der Intendanz Peter Spuhler von 2005 bis 2011 hat das Heidelberger Stadttheater den Winter in Schwetzingen kreiert. Vivaldi-Opern als Ausgrabungen erweckten hohes Interesse bei Publikum und Fachkritik, das Festival hatte sich schnell etabliert. Holger Schultze, der neue Intendant, führt das Begonnene fort und setzt zusätzliche Akzente: „Es war mir von Anfang an ein Anliegen, den ‚Winter in Schwetzingen’ fortzuführen und weiterzuentwickeln. Im Musiktheater werden wir uns zukünftig mit der Neapolitanischen Oper, einer der spannendsten, innovativsten und dennoch immer noch auf den Spielplänen sträflich vernachlässigten Epochen der Barockoper beschäftigen.“

Die Nagelprobe für Schultze und sein künstlerisches Leitungsteam um Operndirektor Heribert Germeshausen und den Spezialisten für Alte Musik, Rubén Dubrowsky, wird eine deutsche Erstaufführung sein: Marco Attilio Regolo heißt das Spätwerk des neapolitanischen Großmeisters Alessandro Scarlatti (1660-1725), mit dem das Festival am 25. November startet. Diese Oper um den karthagischen Feldherrn Amilcare und seinen römischen Gegenspieler Marco Attilio  vereint die herrlichen Ingredienzien um Macht und Liebe, Krieg und Intrige, tragische Aufopferung und Edelmut in sich. Am Ende finden sich alle Paare glücklich vereint in Frieden und Freiheit. Sozusagen ein idealistisches Menschheitsmodell.

Schultze zieht zwei weitere Stützen in seine Festival-Idee ein. Die Wechselwirkungen zwischen südamerikanischer Barockmusik und dortiger Volksmusik sollen ergründet werden, denn die Tanzformen waren Vorbild für die europäische, höfische Instrumentalmusik. Und die dritte Schiene ist Bach gewidmet, wenn etwa die Geigerin Isabelle Faust sämtliche Solosonaten spielt. Die Serie an Veranstaltungen umfasst vom 25. November (Premiere „Marco Atttilio Regolo“) bis 11. Februar 2012 (Liederabend der Mezzosopranistin Stella Doufexis) eine Reihe hochkarätiger Opernvorstellungen und Konzerte. Unter anderem gastiert der international gefragte Countertenor Franco Fagioli am 1. Dezember mit Arien von Händel und Rossini, begleitet von den Heidelberger Philharmonikern unter Rubén Dubrovsky.

Im Zusammenspiel von Kunst und Kultur scheint Schloss Schwetzingen attraktiver als Versailles. Zu hoch gegriffen, dieser Vergleich? Einfach hingehen. 

Eckhard Britsch, 21.11.2011

 


Intendant Holger Schultze will den Schwetzinger Winter weiter ausbauen.


Winter in Schwetzingen ist nicht nur ein Vergnügen für Opernfans.


Marco Attilio Regolo - hier ein Szenenbild - wird als neapolitanische Barockoper den Schwetzinger Winter eröffnen.


Auch im Sommer gern besucht: Das Schwetzinger Schloss mit seinen Gartenanlagen.