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Interview exklusiv


 
 

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"Deutschland hat es gut mit mir gemeint."

Peter Leonard ist international anerkannter Dirigent und Intendant des Volkstheaters Rostock. Dort kämpft er mit der Belegschaft seit mehr als einem Jahrzehnt um das Überleben. Opernnetz erzählt er, was ihn umtreibt.

Opernnetz Was hat einen Bostoner und Weltreisenden in Sachen Musik nach Rostock gebracht?

Peter Leonard Eher ein Zufall. Während meiner Tätigkeit als GMD in Augsburg erhielt ich mehrere Einladungen auf GMD-Stellen. Ich folgte der Einladung nach Rostock, gab eine Probevorführung und das Orchester wählte mich mit großer Mehrheit. Auch ich hatte Gefallen an dem Orchester gefunden und wollte 2004 drei Jahre hier bleiben - nun bin ich nach Übernahme der Intendanz 2008 immer noch hier - und das sehr gerne.

Opernnetz Welche Gründe waren für Ihre Entscheidung ausschlaggebend, nach Rostock zu gehen?

Leonard Am Anfang hat mich das Orchester begeistert, dann später die ganze Belegschaft. Zum einen, weil sie in schwierigen Zeiten, in denen immer wieder eine komplette Schließung drohte, fest zusammenhielt, zum anderen, weil ich den deutlichen Eindruck hatte, dass die Mitarbeiter zusammenarbeiten wollten, dass sie sich als Gemeinschaft fühlten - übrigens bis heute. Außerdem gefällt mir die Stadt und ihr Klima, auch hier spüre ich den Seewind, der von der Ostsee hereinweht. Und: Deutschland has been good to me - Deutschland hat es gut mit mir gemeint.

Opernnetz Wie erleben Sie den Vergleich der Beziehungen zwischen Theater und Kultur zur Politik in den USA und in Deutschland?

Leonard Oh, da gibt es große Unterschiede, formale zunächst. In den USA arbeiten fast alle Theater und Orchester als Privatinstitutionen unter der Aufsicht eines Board of Directors, dem müssen wir Rechenschaft ablegen. In Deutschland sind es staatliche oder städtische Bürokratien, die Steuergelder verwalten und verteilen. Von den Stadtparlamenten werden die Richtlinien und Finanzierungen bestimmt. Glücklicherweise werden jetzt gerade Entscheidungen getroffen, die den Erhalt eines Vier-Sparten-Theaters in Rostock sichern. Außerdem gibt es in den USA keine Mehrspartenhäuser. So etwas wie das Vier-Sparten-Haus in Rostock ist unbekannt. Das sind große Unterschiede. Im täglichen Kampf um das Geld und die Ausgaben gibt es viele Ähnlichkeiten, aber mir ist hier mehr bewusst: Wir leben von Steuergeldern, die alle bezahlen.

Opernnetz Die Theater in Mecklenburg-Vorpommern haben schwierige Jahre hinter sich, Erleichterungen sind kaum in Sicht. Inwieweit ist Ihr Haus davon betroffen?

Leonard Vor allem die Mitarbeiter bemerken den ständigen Stress, unter dem sie wegen ihrer Bezahlung und der Sicherheit ihrer Stellen stehen. Sie befinden sich seit über zehn Jahren in einer Dauerkrise, die ermüdet und die bislang vorhandene Solidarität gefährdet. Jobunsicherheit und dauernde Unterfinanzierung erschweren unsere Arbeit sehr.

Opernnetz Welches sind Ihre nächsten größeren künstlerischen Projekte?

Leonard Ich freue mich persönlich sehr auf unser Weihnachtsprogramm im Dezember und die Premiere der Donizetti-Oper Die Regimentstochter im Januar. Außerdem warten wir alle sehnlichst auf die hoffentlich im Juni nächsten Jahres gelingende Neueröffnung des Großen Hauses. Schließlich habe ich begonnen, langfristig ein Musiktheater-Repertoire aufzubauen, das uns ständig zur Verfügung stehen soll. Hier haben wir großen Nachholbedarf, die heutige Premiere von Hänsel und Gretel soll auch dazugehören.

Opernnetz Zu Ihren zahlreichen Kinder- und Jugendprojekten gehört das Programm AIDA-Konzerte für Teens mit dem Motto Das lässt sich hören. Was verbirgt sich dahinter?

Leonard Mit dem Projekt AIDA-Konzerte für Teens wenden wir uns gezielt der schwer erreichbaren Altersgruppe der 12- bis 18-Jährigen zu und konfrontieren sie mit ausgesuchten Stücken der Konzertliteratur. Aus den Schulen werden jährlich etwa 8.000 - 10.000 Schülerinnen und Schüler entlassen. Sie müssen erfahren, dass Musik zu ihrer Kultur gehört. Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist mir sehr wichtig.

Opernnetz Wie stark wählen Sie da "leichte Kost" aus, kommen diesen Jugendlichen entgegen?

Leonard Überhaupt nicht! Wir muten ihnen die normale "harte Kost" des Konzertprogramms zu. Lediglich unsere Begleitung und Vorbereitung durch einen Moderator, zurzeit unser 1. Kapellmeister Manfred H. Lehner, hilft den Jugendlichen, sich dieser Musik zu nähern. Und wir sind überrascht und erfreut, dass dies gelingt. Ich sehe dabei für uns zwei Aufgaben: Erstens müssen wir die Jugendlichen über den Bereich "Musik" als Bestandteil ihrer Kultur informieren, die Wahl müssen sie selbst treffen. Zweitens erfahren sie so konkreter, was mit den Steuergeldern geschieht.

Opernnetz Die Theater in der Nordost-Ecke Deutschlands haben kein leichtes Umfeld. Wie berücksichtigen Sie das bei Ihrer Arbeit?

Leonard Wir sind im Raum Rostock in der glücklichen Lage, eine positive Bevölkerungsbilanz zu haben, entgegen dem Landestrend. Zurzeit arbeiten wir daran, mit einem verstärkten Busservice auch Interessenten aus entfernteren Gemeinden zu erreichen und sie so für unser Theater zu gewinnen. Das geht nur langsam, zeitigt aber Erfolge. Mit dem Mecklenburgischen Landestheater in Parchim, etwa 140 Kilometer entfernt, arbeiten wir in einer Theater-Holding zusammen.

Opernnetz Sie haben heute Abend Premiere der Humperdinck-Oper Hänsel und Gretel. Was erwarten Sie?

Leonard Ich liebe diese Oper wegen ihrer großen Musikalität. Sie gehört in jeden Spielplan. Deshalb plane ich, diese Oper in unser Repertoire aufzunehmen. Ich finde sie sehr geeignet dazu.

Opernnetz Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Horst Dichanz am 11.10.2011.

 


Peter Leonard