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Flashmob in Rom


 
 

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Die andere Geburtstagsfeier

Arcangelo Corelli wäre heuer 360 Jahre alt geworden. Grund genug für den Mailänder Geiger Davide Monti, in Rom einen Flashmob für die klassische Musik zu veranstalten. Das ist nicht neu, bringt aber die klassische Musik auf die Straße, zu den Menschen, und beweist, wie aktuell die Musik eigentlich ist.

2013 ist beileibe nicht nur Richard-Wagner-, Giuseppe-Verdi- und Benjamin-Britten-Jahr. Die Alte Musikszene feiert nämlich ihn: Arcangelo Corelli. Und das gleich zweimal: am 8. Januar jährte sich sein Todestag zum 300. Mal, am 17. Februar sein 360. Geburtstag. Nur wenige Komponisten des Barock haben zu Lebzeiten und bis heute beim internationalen Publikum wie bei Musikern so einhellig für Begeisterung und Wertschätzung gesorgt wie dieser „Virtuosissimo di Violino“, und das beim Laienpublikum ebenso wie bei Komponistenkollegen von allerhöchstem Rang. Nach heutigen Marktgesichtspunkten war Corelli ein Geigen-Popstar mit Gütesiegel. Dabei hatte der 1653 im norditalienischen Dörfchen Fusignano geborene, aber fast ausschließlich in Rom tätige Violinist, Komponist und Orchesterleiter sich Zeit seines Lebens und in einer ganz und gar gesangsverrückten Epoche ausschließlich der instrumentalen Kammermusik für Streichinstrumente verschrieben – zumindest, was sein gedrucktes Oeuvre betrifft: Unter sechs Opuszahlen vereint es nicht mehr als 72 Werke, wahrscheinlich nur ein Bruchteil seines tatsächlichen Schaffens. Und das rächt sich heute: trotz seines d oppelten Jubeljahres ist Corelli seltsam abwesend auf den Konzertplänen. Ihm, der nie ganz vergessen wurde, stehlen die jüngeren, vielseitigeren Kollegen Antonio Vivaldi, Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach heute schlichtweg die Show. Dass Corelli aber durchaus für opernhafte „Auftritte“ gut ist, beweist am 17. Februar 2013 der Mailänder Geiger Davide Monti: er organisiert zu Corellis Geburstag in Rom einen musikalischen Flashmob vor dem Pantheon. Dort befindet sich Corellis Grab. Hier hätte Monti eigentlich an Corellis Todestag ein Konzert geben sollen, wie das auch im 18. Jahrhundert üblich war. Der Plan platzte kurzfristig aus organisatorischen Gründen. „Das war der Auslöser, dass ich gesagt habe: Nein, irgendwas muss geschehen, das kann doch nicht wahr sein! Ich habe dann drei Tage lang versucht, etwas auf die Beine zu stellen, aber das war alles zu knapp. Deshalb habe ich dann das nächstmögliche Datum in Angriff genommen, eben das des Geburtstags, und 360 ist ja doch eine schöne runde Zahl“, erzählt der Musiker.

Über soziale Plattformen wie Facebook und Twitter mobilisiert er die italienische Streicher- und Basso-Continuo-Szene, und am Ende kommt tatsächlich ein ansehnliches Concerto grosso zusammen – auch wenn man in einer Stadt wie Rom mit Musikhochschule und einer ganzen Reihe von Orchestern vielleicht mehr hätte erwarten können. Bei aller Spontaneität müssen im Vorfeld zwangsläufig allerlei Behörden informiert und um Erlaubnis gebeten werden, wie Stadtverwaltung, Denkmalamt und der Vatikan, dem der Innenraum des Pantheon gehört. Und geprobt wird der Flashmob am Mittag schließlich auch noch auf einem kleinen Nebenplatz, schlicht aus musikalischen Gründen. Denn das Ganze soll ja auch per Streaming in die ganze Welt übertragen werden. Monti, der ein erstklassiger Barockviolinist ist und auf einer Violine von 1733 spielt, wird Corelli höchstpersönlich geben, in dessen Funktion als Konzertmeister. Die Gefahr, dabei für „unseriös“ oder gar einen Touristen-Gag gehalten zu werden, sieht er nicht: „Die Musik muss aus den Regalen geholt werden. Musik ist nichts Altes oder Altmodisches, und sie ist nichts, was nur eine Elite betrifft. Sie muss ein Energiemoment für alle sein, dann hat sie uns auch heute noch etwas zu sagen. Corelli steckt so voller Energie – diese Musik ist nichts, was sich nur im 18. Jahrhundert mitteilte.“ Auch andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehen die Initiative unbeschwert-positiv, wie etwa die Australierin Lathika Vithanage: „Corelli ist für mich wie ein Gott; er ist wahrscheinlich der Grund, warum ich Geige spiele. Für mich ist es eine Ehre, für ihn hier in Rom vor seinem Grab an seinem Geburtstag zu spielen.“

Pünktlich um 14.15 Uhr gibt Davide Montis – alias Corelli – Gang in den Pantheon, mit Geige und einer langen weißen Rose in der Hand bewaffnet, den Startschuss für die übrigen Musiker und Helfer. Geburtstagspostkarten mit der Silhouette Corellis werden verteilt, das Concertino mit Montis irischer Ehefrau Maria Cleary an der Harfe positioniert sich am Springbrunnen, während Monti allein im Pantheon an Corellis Grab die Rose niederlegt und zwei Variationen aus dessen Follia spielt. Hier schon ergießt sich ein Blitzlichtgewitter über ihn. Draußen hat sich indes eine große erwartungsvolle Menschenmenge um die zwei Musiker gebildet. Aus dem Pantheon zurück, jetzt auch in der Kleidung der Zeit Corellis zur Allongeperücke – die freilich eher an Bach denn an Corelli gemahnt – stimmt Monti auswendig und mit wahrhaft schmelzenden Improvisationen im Adagio-Teil, den ersten Satz aus Corellis Concerto grosso D-Dur Nr. 4 an. Und es ist schon sehr beeindruckend, wie plötzlich von überall her Menschen mit Notenständern und Instrumenten auftauchen, sich dazu gesellen und mitswingen. Nach nicht einmal sechs Minuten ist alles vorbei. Das Publikum ist hingerissen, applaudiert ausgelassen, fordert eine Zugabe – ohne sie zu bekommen. Und so manch einer geht danach tatsächlich in das Pantheon und fragt nach Corellis Grab.

Natürlich ist die Idee eines musikalischen Flashmob nicht neu, auch nicht im Bereich klassischer Musik. Mit einem beeindruckenden, aber fingierten Flashmob zu Beethovens Hymne an die Freude warb vor einiger Zeit etwa eine spanische Bank. Der Corelli-Flashmob in Rom war hingegen zu hundert Prozent non-profit und entsprang reinem Enthusiasmus, versichert Davide Monti: „Nein, wir haben keinerlei Zuschüsse, im Gegenteil: die werden ja immer weiter gekürzt, und das ist eine wahrhafte Schande, denn die Kunst und die Musik bringen die Menschen, die Bevölkerung dazu, ihr Bestes zu geben. Deshalb muss in die Kunst investiert werden, damit die Menschen besser werden – dann produzieren sie nämlich auch besser, wenn wir uns auch einmal in diesen Termini ausdrücken wollen.“

Sabine Radermacher, 8.3.2013

 


Am Grab des Arcangelo Corelli
bringt der Musiker Davide Monti
ein Ständchen.


Aus dem Pantheon geht es hinaus
auf die Straße. Der Flashmob beginnt.


Rom ist voll von Musikern. Aber
offenbar sind darunter nicht so viele,
die Corellis Geburtstag feiern wollen.
Trotzdem ist es ein großer Spaß.


Klassik kann nicht begeistern? Das
sieht das Laufpublikum aber ganz
anders.


Davide Monti darf zufrieden sein:
Diese Geburtstagsfeier ist gelungen.

Fotos: Roberto Nova,
Big Five Communication Agency