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Hörspiel


 
 

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Oper trifft Risse

Die Medien haben ausführlich darüber berichtet: Nach unglücklichen Probebohrungen verändert sich massiv das Stadtbild von Staufen. Mona Winters hat das zum Anlass genommen, ein Hörspiel mit Opernelementen zu inszenieren.

Eine Stadt geht in die Luft. Der Boden unter dem Städtchen Staufen im Badischen geht auf wie ein Hefeteig, und die Bewohner müssen gewärtigen, dass ihre Wohnhäuser buchstäblich unter ihnen zusammenbrechen. Armdicke Risse verunzieren die Wände, einige Häuser mussten bereits evakuiert werden.

Was ist geschehen? Die Katastrophe begann mit einer scheinbar vorblildlich-ökologischen Idee: Man will das historische Rathaus mit klimafreundlicher Erdwärme beheizen. Es werden vermeintlich harmlose Probebohrungen vorgenommen.

Soviel zur realen Ebene. Mona Winter, die vielfach mit Preisen ausgezeichnete Hörspielautorin und -Regisseurin nutzt diese aberwitzige Geschichte, die sich vor unseren Augen abspielt, als Vorlage, um sie mit einer anderen Geschichte, die sich um die "Fauststadt" Staufen rankt, zu verknüpfen: Die Legende besagt, dass Faust, dem Goethe das vermutlich berühmteste Theaterstück der Weltliteratur gewidmet hat, 1539, kurz vor seinem Tod, hier gelebt hat. Der hoch verschuldete Burgherr Anton von Staufen giert nach Gold - und Faust, der Alchimist, soll es ihm herbeihexen. Trotz eifrigen Bemühens - man kennt die Geschichte - schlug das Experiment fehl, schlimmer noch, Faust sprengte sich bei einem seiner Versuche im Gasthof zum Löwen, gleich neben dem Rathaus, selbst in die Luft. Und weil sich das besser anhört, heißt es in der Überlieferung, die Erde habe sich aufgetan - so wie heute -  und der Teufel habe Faust zu sich in die Hölle hinabgeholt.

Hier schließt sich der Kreis - jetzt spuckt und explodiert die Erde wieder und Mona Winter verknüpft die Faustgeschichte von einst mit den realen Gegebenheiten von heute. Auf geniale Weise gelingt ihr eine Mischung aus dokumentarischen Texten und Interviews zur Zerstörung der Stadt und einem künstlerischen Text, den sie von Schauspielern sprechen lässt. Hinzu kommen Originalzitate aus Goethes Faust-Epos und eigens für die Arbeit komponierten Musikpassagen von Michael Armann, der auch den Sänger Andreas Dellert am Piano begleitet. Die beiden Musiker gehören dem 2002 gegründeten und aus klassisch ausgebildeten Musikern und Sängern bestehenden Ensemble "LaTriviata" aus München an. Die Truppe versteht sich deutschlandweit als einziges Opern-Impro-Ensemble, das bei seinen Auftritten, quasi auf Zuruf aus dem Publikum Opernimprovisationen darbietet. Nicht so natürlich beim Hörstück Risse: Hier handelt es sich um eine eigens für diesen Zweck einstudierte und in einem professionellen Studio eingespielte Produktion für den Südwestfunk.

Den historischen Faust spricht der bekannte Darsteller Michael Tregor, den zeitgenössischen ein Bürger der Stadt, ein Kommentator mit einem ausgeprägten Hang zu kritischen Tönen und Boshaftigkeiten.

Damals wie heute hat die Gier etwas Faustisches hervorgerufen: Das architektonische Kleinod, die Fauststadt Staufen im Breisgau, droht durch Probebohrungen nach Erdwärme zerstört zu werden. Sieben Sonden wurden 140 Meter tief ins Erdreich getrieben, durch chemische Reaktionen mit dem Wasser in den Gipsschichten unter der Oberfläche hebt sich der Boden derzeit monatlich um fünf Millimeter. Inzwischen hat sich das historische Rathaus bereits um 20 Zentimeter gehoben. An manch anderen Stellen sind hob sich die Erde um 40 bis 60 Zentimeter.

Mit dieser ungewöhnlichen Form der Verquickung von dokumentarischen und journalistischen Reportagemitteln sowie künstlerischen und musikalischen Elementen gelingt es Mona Winter immer wieder die Ebenen von Realität, Legende und Musik zu wechseln und die heutige mit der gestrigen Geschichte zu verknüpfen - letztlich um zu zeigen, dass auch das Geschäft mit alternativer Energie bereits ein profitorientierter Markt  wie jeder andere ist. Häuser werden unbewohnbar, die Kirche droht einzustürzen - man spricht bereits von der zweiten Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Schaden wird auf 50 Millionen Euro geschätzt. Die ganze Situation ist hochdramatisch. Die gesamte Altstadt droht unbewohnbar zu werden.

Die Risse fressen sich in Menschen und Häuser. Und alle Beteiligten am kunstvoll gestalteten ungewöhnlichen Hörstück Risse versuchen, dem Untergang Staufens Einhalt zu gebieten.

Im Zeitalter von Podcast und Co. völlig unverständlich: Der Südwestrundfunk stellt das Hörstück nicht im Internet ein. Wer also während der Ausstrahlung Anfang September nicht im Sendegebiet unterwegs war, hat Pech gehabt. Auch als regulären "Mitschnitt" kann die Collage nicht bestellt werden, und das werde auch erst dann geändert, wenn es ausreichend Anfragen gebe, lässt der Hörfunksender verlauten. Ein Grund für diese "Geheimhaltungspolitik" nennt der Sender nicht.

Christina Haberlik, 10.9.2011

 


Das Rathaus der Fauststadt Staufen im Breisgau droht den Folgen von Probebohrungen zum Opfer zu fallen. Was gut gemeint war, endet möglicherweise in der Katastrophe. Mona Winters hat in ihrem Hörspiel die Analogie zum Faust gefunden.