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Optimistische Tanzschritte


 
 

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Tanzhaus in Niederösterreich

Choreograf Joachim Schloemer hat versucht, das Festspielhaus St. Pölten in Österreich zu einer Plattform des internationalen Tanzes zu entwickeln. Ab der kommenden Spielzeit will Brigitte Fürle das Profil weiter schärfen und wirft dafür ihre früher geknüpften Verbindungen in die Waagschale. Der Optimismus ist groß.

Etwa 50 Kilometer von Wien entfernt liegt die Landeshauptstadt Niederösterreichs. St. Pölten ist mit mehr als 50.000 Einwohnern die größte Stadt des Bundeslandes und ein Ort der Kontraste. Auf der einen Seite gibt es da den Riemerplatz mit einer lückenlosen Barockfassade, das Rathaus als Wahrzeichen der Stadt mit der barocken „Kaiserstuckdecke“ im Bürgermeisterzimmer oder auch das Institut der Englischen Fräulein mit seiner barocken Palastfassade, die als eine der Schönsten Niederösterreichs gilt. Auf der anderen Seite gibt es den Kulturbezirk mit futuristischer Architektur, darunter auch das Festspielhaus.

Am 1. März 1997 eröffnet, bietet das Festspielhaus im großen Saal etwa 1.100 Zuschauern Platz. Mit seinen Foyers hat Architekt Klaus Kada ein großzügiges Ambiente geschaffen, das theoretisch den Raum für viele Veranstaltungsmöglichkeiten eröffnet. Als der Tänzer und Choreograf Joachim Schlömer 2009 die Künstlerische Leitung übernahm, versuchte er, das Festspielhaus zu einer Plattform des internationalen Tanzes zu machen. Alsbald fuhren Freunde des zeitgenössischen Tanzes von Wien nach St. Pölten, um dort internationale Compagnien zu erleben. Schloemer hat sich inzwischen aus der österreichischen Provinz verabschiedet. „Die Arbeit am Festspielhaus ist für mich immer noch ein spannender Prozess und eine große Bereicherung, dennoch werde ich mich in Zukunft anderen künstlerischen Aufgaben widmen, vor allem meiner Tätigkeit als Regisseur“, heißt es dazu auf Schloemers Website. Flauer kann man wohl kaum zum Ausdruck bringen, dass man weg will. Ebenso schmallippig dazu die Erwiderung des Geschäftsführers Thomas Gludovatz: „Wir arbeiten mit Joachim Schloemer sehr gerne und erfolgreich zusammen, respektieren jedoch seine Entscheidung. Die Ausschreibung der Stelle wird in den nächsten Wochen erfolgen.“ Deutlicher kann man eigentlich nicht ausdrücken, dass eine Zusammenarbeit beendet ist. Im historischen Rückblick spielen die einzelnen Gründe keine Gründe mehr.

Jetzt weht ein neuer Wind durch die gewaltige Architektur. Die kommende Spielzeit wird Brigitte Fürle als Künstlerische Leiterin eröffnen. Und sie geht mit Feuereifer an den Start. „Das Festspielhaus ist eine der größten Bühnen Österreichs und als Saisonspielstätte für internationale Tanzereignisse und Konzerte im deutschsprachigen Raum etwas Einzigartiges. Weder Festival noch Repertoirehaus, sondern ein Theater mit Zeit und Raum für Künstler, Compagnien und einem Residenzorchester – vergleichbar den französischen Scènes Nationales – ein Ort der künstlerischen Kreation, der Begegnung und ein zukunftsweisendes Modell verantwortungsvoller Kulturarbeit“, begeistert sich die gebürtige Österreicherin, die Höhepunkte ihrer Karriere zunächst in Deutschland erlebte.

Fürle promovierte 1987 an der Universität Wien, wo sie später auch für fünf Jahre einen Lehrauftrag am Institut für Theaterwissenschaft zum Thema „Neue Theaterformen“ innehatte. Nach einer Phase als Journalistin für diverse Fachzeitschriften und Dramaturgin respektive Kuratorin verschiedener Festivals machte sie sich vor allem einen Namen als Künstlerische Leiterin von spielzeit’europa, wo sie nicht nur internationale mediale Aufmerksamkeit erlangte, sondern vor allem eine weit reichende Vernetzung und Kooperation mit internationalen Veranstaltern aufbaute.

Große Namen, große Produktionen

„Mit Herz und Haltung“ will Brigitte Fürle diese Verbindungen nun nutzen, um in die neue, ihre erste Spielzeit zu starten. Herzen und Chöre gehören zu einem der Höhepunkte, die die Künstlerische Leiterin für die kommende Saison plant: C(H)OEURS ist eine Kooperation zwischen dem Teatro Real Madrid unter Leitung von Gerard Mortier, dem österreichischen Festspielhaus und dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich. Dabei erklingen, gesungen vom Coro Intermezzo, berühmte Chöre aus den Opern Verdis und Wagners. Konzept, Choreografie und Bühne stammen vom belgischen Choreografen Alain Platel. Die Öffnung des Hauses nach außen ist für Fürle Programm. Mit dem am Festspielhaus neuen Format Open Studios will sie Interessierten Gelegenheit bieten, internationalen Choreografen über die Schulter zu schauen und zu erfahren, wie die Künstler mit ihren Compagnien arbeiten.

Neben einem Tanzprogramm auf hohem, internationalem Niveau plant Fürle ein umfangreiches Konzertprogramm mit dem Residenzorchester der Tonkünstler. Hier sollen vor allem große internationale Namen am Pult und in der Solistenriege für die nötige Zugkraft sorgen. Das Konzept ist bereits aus anderen Städten bekannt, die sich keinen Ensemblebetrieb mehr leisten wollen oder können. Ob sich der Wunsch, den Künstlern ein Stück Lebensraum in Form ausgiebiger Proben- und Entwicklungszeiten zu bieten, dauerhaft erfüllen lässt, wird die Zeit zeigen. Dass die Positionierung als internationales Zentrum des Tanzes funktioniert, hat die Vergangenheit bereits gezeigt. Und die Bürger von St. Pölten kann es freuen, zieht das Haus doch Gäste aus aller Welt an. Wer Sprechtheater will, geht ohnehin in das Landestheater nebenan. Und für die Oper gibt es die große Bühne Wien – wenn man sich denn auf den Weg macht. Brigitte Fürle hat sich jetzt auf den Weg gemacht und wird zeigen, ob es ihr gelingt, St. Pölten als viel beachtetes Zentrum des Internationalen Tanzes zu positionieren.

Michael S. Zerban, 21.4.2013

 


Das Festspielhaus St. Pölten in
Niederösterreich beeindruckt durch
seine gigantische Architektur.


Gerard Mortier und Brigitte Fürle
bringen das Ballett-, Chor- und
Orchester-Projekt C(H)OEURS in
St. Pölten auf die Bühne.


Rudolf Buchbinder und Andrés Orozco
Estrada im Vorgespräch zu einer
Neuproduktion für das Festspielhaus.


Namhafte Produktionen, wie die
Ungarischen Tänze des Balletts am
Rhein, aber auch Eigenproduktionen
sollen den internationalen Ruf des
Hauses stärken.


Hofesh Shechter wird als Artist in
Residence für die kommende Spielzeit
das Stück Sun inszenieren.