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Im Kino


 
 

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Von Kreativen und Kleingeistern

Die Oberammergauer Passionsspiele sind seit jeher ein Politikum, auf jeden Fall eine einzigartige Veranstaltung und ein Wirtschaftsunternehmen mit Millionenumsätzen. Jörg Adolph hat einen Dokumentarfilm darüber gedreht, der jetzt in den Kinos anläuft.

Oberammergau ist ein bayerisches Dorf mit 5.400 Einwohnern in den Ammergauer Alpen, das alle zehn Jahre einmal in das Licht der Öffentlichkeit tritt und so zu den bekanntesten Orten Deutschlands gehört. Dann finden von Mai bis Oktober die Passionsspiele statt, die mehr als eine halbe Million Besucherinnen und Besucher anziehen. 2.500 Mitwirkende bereiten sich fast anderthalb Jahre auf dieses Ereignis vor. Das sind nicht irgendwelche Mitwirkenden, sondern gebürtige Oberammergauer oder Menschen, die seit mindestens 20 Jahren in Oberammergau leben. Nur, wer bereit ist, sich in der gesamten Vorbereitungszeit die Haare – und Männer auch die Bärte – wachsen zu lassen, hat eine Chance, an den Passionsspielen teilnehmen zu können.

Im vergangenen Jahr war es wieder so weit. Und Filmemacher Jörg Adolph erhielt die Erlaubnis, die Vorbereitungsarbeiten zu begleiten.  Herausgekommen ist ein 144-Minuten-langer Dokumentarfilm, den Kameramann Daniel Schönauer höchst eindringlich bebildert. Es ist ein ruhiges Werk, das in seinem Facettenreichtum keine Sekunde langweilig wird. Über weite Strecken wird ein grüblerischer, willensstarker, aber mitunter auch energischer, jedenfalls Ketten rauchender Spielleiter Christian Stückl gezeigt, fast schon biographisch mutet das an. Gezeigt wird auch die Vorbereitung eines der größten Freilichtspiele der Welt in einzelnen Stationen. Dazu gehört genauso die Reise einer Delegation zu den Originalschauplätzen wie der Besuch eines jüdischen Komitees, das auf die politische Korrektheit und damit auf das Drehbuch Einfluss nehmen will. Die nötige Würze geben die Skurrilitäten des Gemeindelebens. So hat etwa der Gemeinderat das Recht, über die Besetzungsliste abzustimmen, oder eine Ratsfraktion nichts Besseres zu tun, als gegen den Raucher Stückl mobil zu machen, weil der gegen Nichtraucher- und Brandschutz verstößt. Kreativer Geist stößt auf die Missgunst der Kleingeister. So etwas soll ja nicht nur in Dörfern vorkommen.

Adolph beobachtet genau, aber er kommentiert nicht. Das ist erst etwas verwirrend, letztlich aber selbsterklärend und fordert das detektivische Gespür des Zuschauers heraus. Für Außenstehende gibt es hier einen interessanten Blick hinter die Kulissen einer gewaltigen Musiktheaterproduktion, Staunen, mit welchen Dingen sich der Spielleiter und sein Dramaturg Otto Huber nebenbei beschäftigen müssen und um welche wirtschaftlichen Dimensionen es hier eigentlich geht. Trotzdem, sagt Stückl, sei es in erster Linie eine „Herzensangelegenheit“. Und das nimmt man dem charismatischen Regisseur auch ab, wenn er immer wieder den Kern der „größten Geschichte aller Zeiten“ hinterfragt. Ein Film, der sicher nicht die Mainstream-Sehgewohnheiten im Kino bedient, aber so liebevoll gemacht ist, dass er sein Publikum finden wird. Die große Passion läuft ab sofort im Kino.

Michael S. Zerban, 17.11.2011

Fotos: if...cinema