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Vorläufiger Abschied


 
 

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Tschüss, Otto!

Einer der wichtigsten Mitarbeiter am Theater Oberhausen geht in Pension. Um den Abschied des Musikalischen Leiters, Otto Beatus, zu würdigen, feierten die Oberhausener am ersten Novemberwochenende zwei Tage lang, womit Beatus unter anderem das Theater geprägt hat: Musiktheater für junge und jung gebliebene Leute.

Zum Abschied rockte er noch einmal kräftig durch: Otto Beatus, das musikalische „Mädchen für alles“ am Theater Oberhausen, das Anfang Dezember in den Ruhestand tritt. Pünktlich zu seinem 65. Geburtstag, obwohl ihn die Oberhausener nur ungern ziehen lassen und der „Pensionär“ weder gesundheitlich noch kreativ die geringsten Ermüdungserscheinungen erkennen lässt. Er tritt freiwillig zurück, auch wenn er sein ganzes Leben lang „nur mit dem Theater verheiratet“ war und den Ruhestand nicht im Schoß einer Familie genießen kann.

Diese Prüfung mit dem Risiko, in ein „privates Loch“ fallen zu können, nimmt er bewusst in Kauf. „Es ist meine volle Entscheidung, mir die Freiheit zu nehmen, mein Leben neu zu gestalten“, sagt Beatus. Dafür sucht er zunächst Abstand und erfüllt sich einen lang gehegten Traum. Er reist für zehn Wochen ans andere Ende der Welt, nach Neuseeland, allein mit seinem Rucksack, um Land, Leute und die Natur zu erkunden. Da sucht er auch den Sommer, während er hier frieren müsste. Danach möchte er als freier Künstler noch einige Projekte realisieren, die ihn schon lange bewegen: Schuberts „Winterreise“ als Rock-Projekt, eine Udo-Lindenberg-Kreation „mit vier Frauen“. Und auch zu David Bowie und Neil Young fiele ihm noch manches ein.

Es ist also zu erwarten, dass sein „Ruhestand“ nicht langweiliger und geradliniger verlaufen wird als sein bisheriges Leben. Geboren im rheinischen St. Augustin, absolvierte er ein solides Studium der Schulmusik und der Germanistik, merkte aber schnell, dass ihm der Lehrerberuf zu enge Grenzen setzt. Er ging nach Berlin und arbeitete sich als Theatermusiker, Arrangeur, Komponist und Pianist an Off-Bühnen in die Welt der Rockmusik und des Jazz ein. Tätigkeiten, die er in Heidelberg, Düsseldorf, Bonn, Kiel, Wuppertal und Dresden ausbaute und perfektionierte. Dort sammelte er Erfahrungen, mit denen er dem Theater Oberhausen seit 2004 zu einem unverwechselbaren Profil verhalf, mit denen er neue Publikumsschichten eroberte und mit denen er das Theater zu einer der lebendigsten Spielstätten des Rheinlands auffrischte.

„Tschüss, Otto!“ – Mit Transparenten und Plakaten begrüßte das Publikum den liebgewonnen Allrounder zu seiner vierteiligen Abschieds-Revue, seinem Otto-Katalog mit Produktionen, die ihm besonders am Herzen liegen und in denen das Schauspiel zur musikalischen Revue erweitert wird. Am radikalsten in seiner letzten Produktion, Nowhere Men, in der er über zwei Stunden lang mit vier kongenialen Musikern und einem gesanglich über sich hinauswachsenden Schauspielensemble die Welt der 1960-er Jahre durch die Brille der damals besonders heftig pulsierenden Rockmusik aufleben lässt. Die Beatles, Bob Dylan, The Doors, die Stones und alles, was damals Rang und Namen hatte, lässt Otto Beatus in voller Dröhnung und mitreißender Vitalität auferstehen. Optisch durch poppige Bühnenelemente und skurrile Kostüme angereichert. Videoeinblendungen erinnern an historische Höhepunkte, zu denen der gewaltsame Tod John Lennons gehört, den er musikalisch besonders intensiv betrauert.

Die Revue ist nur einer der erfolgreichen Beiträge von Otto Beatus. Im Malersaal gab es Wild Years nach Tom Waits, dem ebenso musikalischen Vollblut-Allrounder, dem Otto Beatus und sein Sängerschauspieler Jürgen Sarkiss unter anderem mit einer eigenwilligen Woyzeck-Fassung huldigten. Und Sarkiss konnte an diesem Wochenende auch noch mit den Songs for Drella glänzen, einer Interpretation eines Songzyklus‘ von John Cale und Lou Reed, für den er 2010 von den Oberhausener Theaterzuschauern den Publikumspreis erhielt.

Es gehört zu den Leistungen von Otto Beatus, den Schauspielern, die in seinen Produktionen quasi zu Gesangsstars aufsteigen, die „Angst vor dem Vorbild und der eigenen Stimme“ genommen zu haben. „Wenn ich wollte, dass du wie Bob Dylan klingen sollst, lege ich mir lieber eine Platte von Bob Dylan auf“. Ein typisches Motto von Beatus, der eben nichts und niemanden kopieren, sondern aus sich und den Schauspielern eigene kreative Kräfte freisetzen möchte, die den Stücken eine neue, individuelle Ausdruckskraft verleihen sollen. Und das ist Otto Beatus vollauf gelungen.

Die Revuen, in denen sich Beatus quasi hemmungslos austoben konnte, bilden freilich nur einen Teil seiner Arbeit. Sein Tätigkeitsradius umfasst vom schlichten Arrangement eines Chansons für eine Benefiz-Gala über akustische Bereicherungen traditioneller Schauspiel-Produktionen bis zu aufwändigen Musical-Projekten alles, was klingt und tönt. Er erinnert sich besonders gern an die Woyzeck-Adaption von Tom Waits für eine sechsköpfige Combo, eine Carmen-Fassung in ähnlicher Besetzung und seine Oberhausener Johannes-Passion für Saxophon, Klarinette, Violoncello und Klavier.

Die Gefahr, dass die Musik die Inhalte der Stücke überfrachten könnte, sieht Beatus durchaus und versucht, sie entsprechend bewusst zu dosieren. Gelungen ist ihm auf jeden Fall, die Schauspielmusik aus ihrer Schattenrolle herausgeführt zu haben und sie als gleichwertigen Parameter einsetzen zu dürfen. Gleichberechtigt neben Text, Bühne, Licht, Kostüm und Video-Einblendungen. Und alles im Dienst einer Vertiefung und Verdeutlichung des Ausdrucks.

Damit unterstützt er den Trend, der Musik im Schauspiel wieder eine stärkere Stimme zu geben und an Traditionen anzuknüpfen, in denen es für die Meister der Champions League von Beethoven über Mendelssohn bis Weill noch eine Ehrensache gewesen ist, Musik für Schauspiele zu schreiben. Eine Wertschätzung, die nach dem Zweiten Weltkrieg verflachte. Zur kritischen Auseinandersetzung mit der zurückliegenden Katastrophe konnten und durften Musiker auf der Schauspielbühne in den ersten Nachkriegsjahrzehnten nicht viel beitragen.

Es ging fröhlich zu auf der „Abschieds-Party“ in Oberhausen, auch wenn Otto Beatus bisweilen den Tränen nahe war. Seine unkomplizierte, hilfreiche und vor Kreativität sprudelnde Persönlichkeit wird dem Theater fehlen. Aber erloschen ist der Vulkan nicht. Wir werden noch von ihm hören.

Pedro Obiera, 3.11.2013

 


Wenn Otto Beatus an einer Produktion
in Oberhausen beteiligt war, gab es
meist „coolen Sound“ und damit ein
neues Image für ein Theater im
Ruhrgebiet.


Beim Musikalischen Leiter am Theater
Oberhausen gab es keine Kopien,
sondern Schauspieler, die sich zu
Sängern entwickelten.


Ob Revue, aufgemotztes Schauspiel
oder seine vielbeachtete Carmen-
Inszenierung: Beatus hat im Theater
Oberhausen viel mit bewegt.


Ein Bild mit Symbolkraft: Otto Beatus
fühlt sich am wohlsten in der Musiker-
Runde. Bleibt zu hoffen, dass er auch
in Neuseeland die richtigen Leute trifft.


Kreativität prägt Beatus' Schaffen.
Das wird sich auch im Unruhestand
nicht ändern. Die nächsten Projekte
sind schon in Planung.

Fotos: Theater Oberhausen