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Der Ring als Tanzmusik


 
 

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Der getanzte Ring

In Nürnberg wird der Ring des Nibelungen unter dem Generalmusikdirektor Marcus Bosch und Regisseur Georg Schmiedleitner neu inszeniert. Das an sich ist schon eine Nachricht wert. Die Hochschule für Musik und das Staatstheater Nürnberg allerdings wollen mehr. Sie nutzen die Gelegenheit, sich in die Stadt hinein zu öffnen. Mit einem gewagten Projekt: Man tanzt Wagner.

Gibitzenhof ist ein Stadtteil im Süden Nürnbergs. Er ist das, was man einen sozialen Brennpunkt nennt. Fast jeder fünfte Erwachsene, so ist bei Bernhard Schuck in den Nürnberger Nachrichten nachzulesen, bezieht hier das so genannte Hartz IV. Hier gibt es die Herschelschule. Vor rund sieben Jahren prügelten dort Schüler auf einen Polizisten ein. Danach war die damalige Hauptschule stigmatisiert. „Ghettoschule in der Südstadt“, wurde sie lange genannt. Und das, obwohl der damals neu eingesetzte Schulleiter, Jan Titgemeyer, schon drei Jahre später bescheinigen konnte: „Die Gewalt an der Schule liegt praktisch bei null. Gleichzeitig konnten wir die Abschlussquote verdoppeln.“ Inzwischen ist aus der Haupt- eine Mittelschule geworden, und die Qualität konnte weiter gesteigert werden.

Gibitzenhof ist ein Stadtteil im Süden Nürnbergs. In diesem Stadtteil liegt das Staatstheater Nürnberg. Dort ist Guido Johannes Rumstadt seit 2007 Erster Kapellmeister. Außerdem ist er Professor für Orchester und Dirigieren an der Hochschule für Musik Nürnberg. Von ihm stammt die Idee, anlässlich des Ring des Nibelungen, der am Staatstheater neu inszeniert wird, das Stadtteilprojekt Ring.Tanz ins Leben zu rufen. Alt und jung in Gibitzenhof sollen tatsächlich zum Ring tanzen. „Wir wollten damit nicht das Projekt von Sir Simon Rattle in Berlin kopieren“, betont der Musiker. Also setzt er der Einfachheit halber eins drauf. Anstatt eine teure Probenhalle anzumieten, für die ohnehin kein Geld da wäre, oder einen Choreografen im Range eines Royston Maldoom zu verpflichten, geht Rumstadt in den Stadtteil, in dem er arbeitet, und schließt den Kreis. Bei Jan Titgemeyer rennt er offene Scheunentore ein. Der Rektor setzt bis heute auf die Eigeninitiative und -verantwortung seiner Schülerinnen und Schüler. Die sind mit Feuereifer dabei. „Unser Ansatz war, die Kinder das selber entwickeln zu lassen, was fällt ihnen dazu ein, wie kann man das behutsam formen? Sie haben Zeit, sich zu finden, zur Musik zu finden“, erzählt Rumstadt. Zeit gibt es genug. Im November 2012 fanden die ersten Gespräche statt. Inzwischen haben sich auch zwei kirchliche Gemeinden angeschlossen.

Der Musikprofessor, der bereits als Generalmusikdirektor in Regensburg und mit zahlreichen internationalen Auftritten seine Meriten verdient hat, sieht auch den pädagogischen Effekt für die eigenen Studenten. Denn Rumstadt ist sich durchaus im Klaren darüber, dass kaum alle seiner Studenten in bedeutenden Orchestern dieser Welt eine Anstellung finden werden. Mit diesem Projekt verlieren die Studenten nicht nur Berührungsängste, sondern erfahren en passant, wie vielfältig der Einsatz als Musiker sein kann. Und das ist vielleicht die bessere Schule.

Den Ring kann man auch in einer Stunde tanzen

Das Projekt war von Anfang an nicht als Generationenprojekt angelegt. Es wird eine einstündige Aufführung geben, in der vier Altersgruppen jeweils eine Viertelstunde tanzen. Das klingt so ein bisschen nach Pina Bausch, aber wird dadurch ja nicht falsch. Inzwischen hat die Idee an Größe gewonnen. Anja Sparberg und Marina Pilhofer, Theaterpädagoginnen am Staatstheater, haben nicht nur die Durchführungsverantwortung übernommen, sondern auch ein umfangreiches Begleitprogramm entwickelt. So dürfen die inzwischen rund 120 Teilnehmer in Workshops das Bühnen- und Kostümbild mitgestalten und bekommen Einblick in die Abläufe hinter den Kulissen. Bei der Choreografie will man denn doch nicht auf professionelle Hilfe verzichten. Rainer Kotzian, Professor für Elementare Musikpädagogik an der Musikhochschule, steht den Tänzerinnen und Tänzern mit choreografischem Rat zur Seite. Schließlich sollen sie alle Mitte Juli dieses Jahres eine gute Figur auf der Bühne des Staatstheaters machen.

Von der Institution zur Zugehörigkeit

In diesen Tagen treffen die Musiker erstmals mit den Tänzern zusammen. In einer Turnhalle. „Wie funktioniert die Musik, wenn sie aus dem geschützten Raum heraus geht?“ fragt Rumstadt. Polierte Aluminium-Instrumentenkoffer auf abgenutztem Turnhallenlinoleum. Theorie trifft auf Praxis. Es lässt sich großartig an. Dieses Miteinander auf Augenhöhe ist für alle Beteiligten ein Ereignis. Die Tänzer, die erleben, wie man Wagner tanzbar macht, unglaublich, und die Musiker, die erleben, wie diese Stadt um sie herum tickt – und wie sie plötzlich dazu gehören.

Bei der Nachhaltigkeit wird Rumstadt vorsichtig. „Wir schaffen hier ein Pilotprojekt. Was sich daraus entwickeln wird, muss man sehen“, sagt er. Eine direkte Weiterentwicklung jedenfalls ist nicht vorgesehen. Aber wenn man den aktuellen Enthusiasmus miterlebt, möchte man fast sicher sein, dass Wagner weiter in die Zukunft reicht. Nürnberg ist auf einem guten Weg. Und setzt gerade Signale, die auch in anderen Städten nicht ungehört bleiben werden.

Michael S. Zerban, 17.2.2014

 


Bevor der Tanz beginnt: Guido
Rumstadt bringt den Projekt-
Teilnehmern das Wesen Wagnerscher
Musik näher.


Vier Gruppen, vier Choreografien, die
zueinander passen sollen. Rainer
Kotzian betreut die Tänzerinnen und
Tänzer als Choreograf.


Anja Sparberg und ihre Kollegin
Marina Pilhofer betreuen das Projekt
Ring.Tanz theaterpädagogisch. Sie
haben außerdem ein Begleitprogramm
entwickelt und sind für die Umsetzung
verantwortlich.


Schulleiter Jan Titgemeyer möchte
seinen Schülerinnen und Schülern die
klassische Musik näherbringen.


Auch die Orchesterstudenten müssen
sich in der ungewohnten Umgebung
einer Turnhalle erst einmal zurecht
finden.

Fotos: Staatstheater Nürnberg