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Potpourri der Stars


 
 

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Stimmung und Temperament in Münster

In der Tat ist für Münster ein Gipfeltreffen der Stars ein Ereignis. Anna Netrebko und Gatte Erwin Schrott sind das Aushängeschild einer Opernszene, die sich vokal und optisch medienwirksam auf hohem Niveau präsentieren möchte. Dementsprechend ist auch der Andrang auf dem Schlossplatz sehr hoch und wird nur noch übertroffen durch die Kartenpreise. Die letzten Tage vor dem Konzert sind erfüllt mit zwei Prognosen für den Abend, von denen sich eine bewahrheitet: Jonas Kaufmann sagt erkrankt ab. Was nicht verwundert, hat er doch die Konzerte nach Münster schon zuvor abgesagt. Immerhin zaubert die DEAG einen prominenten Einspringer aus dem Hut: Ramon Vargas. Und weil die zweite Prognose für den Abend, das schlechte Wetter, nicht stimmt, kann der Abend seine Versprechen weitestgehend einlösen.

Der eingezäunte Schlossplatz wirkt wie aus dem Ei gepellt, das Schloss hinter der Bühne bietet eine grandiose Kulisse. Um die zahlreichen Sitzblocks herum findet ein anderes Gipfeltreffen statt. Die haute cuisine Münsters rahmt unter kleinen Baldachins die Zuschauer ein, quasi in zweiter Reihe ist in einer Ecke sogar eine gewöhnliche Pommesbude versteckt. Einige wenige Zuschauer bemerken erst jetzt die Absage von Jonas Kaufmann und versuchen ihre Karten loszuschlagen.

Die Neue Philharmonie Westfalen hat unter Dirigent Marco Armiliato das erste musikalische Wort des Abends. Das Orchester demonstriert schon bei der Ouvertüre zu Rossinis L’italiana in algeri, dass es sich von dem Esprit des Maestros leiten lässt, spielt schlank und behände auf, ist den Sängern im folgendem Programm ein sicherer Begleiter. Erwin Schrott eröffnet den Abend ganz diabolisch mit Mephistos Rondo vom goldenen Kalb aus Gounods Faust. Und mit etwas Hilfe aus den großen Lautsprechern erzittert die ganze katholische Domstadt unter der Zurschaustellung seiner stimmlichen Möglichkeiten. Denn die Technik verstärkt seinen Bass so ungemein, dass einem angst und bange werden möchte. Der Effekt wiederholt sich ähnlich bei der Ouvertüre zur Macht des Schicksals, als sich die präzisen Schläge der Pauke durch die Technik in einen satt nachschwingenden Schicksalston verwandeln – und alles andere an Musik dominieren.

Während Erwin Schrott den ersten Teil des Abends vokal beherrscht, laufen seine beiden Kollegen noch ihrer Form hinterher. Bei Anna Netrebko klingt die Arie der Adriana Io son l’umile ancella zwar recht hübsch, aber auch etwas belanglos. Ramon Vargas, der sich aus Wien von den Proben zu Don Carlos nach Münster begeben hat, wirkt bei der Arie des Rodolfo aus Luisa Miller etwas müde, wenngleich er die Melodie in einem sehr schönen Legato verpackt. Beim Duett O soave fanciulla lässt er sich völlig unnötig auf einen Wettstreit in der Höhe mit Anna Netrebko ein und verliert hoffnungslos. Doch nach der Pause steigert sich die vokale Qualität und Anna Netrebko zeigt schon bei der Siciliana der Elena aus Verdis Vespri Siciliani, wofür sie berühmt ist. Da paart sie Koloraturen mit feuriger Ausstrahlung, serviert diese Musik so, dass man sie einfach hören muss und will. Ebenso gelingt ihr Heia, in den Bergen aus der Czárdásfürstin. Wer sonst keine Oper hört, wird bei diesem Temperament unweigerlich dazu verleitet, zuzuhören und sich zu begeistern. Trefflich sekundiert ihr bei beiden Arien der von Jörg Straube einstudierte Norddeutsche Figuralchor. Nur bei seinem Soloauftritt kann der Chor nicht vollends überzeugen. Dem Summchor aus Madama Butterfly fehlt es an Leichtigkeit in der Intonation und an ausgewogenen Stimmverhältnissen.

Was an diesem Gipfeltreffen noch mehr überzeugt als die vokale Qualität, ist die Stimmung auf und vor der Bühne. Die drei Opernstars treten ganz bodenständig mit dem Verständnis auf, die Zuschauer in Münster unterhalten zu wollen. Bei Anna Netrebko beginnt das schon bei der Auswahl ihrer Kleider. Mit zustimmendem Raunen werden beide Kleider des Abends, das grüne festliche und das freischwingende Frühlingsabendkleid, goutiert – auch, weil sie darin einfach eine gute Figur abgibt. Wenn sie dabei auch noch offen zugibt, dass es sie fröstelt, und sie gleichzeitig dem kälteresistenten Publikum ihren Respekt zollt, dann fliegen ihr die Herzen zu. Erwin Schrott gibt den ganz symphatischen Latino-Lover, wenn er einem weiblichen Fan, der sich noch vor seinem ersten Ton lautstark freut, ganz verschmitzt zuzwinkert. Geschickt verbindet er Klassik und Unterhaltung, wenn er an diesem Abend gleich dreimal seiner Liebe zum argentinischen Tango nachgeht. Dabei wird er ganz hervorragend von Mario Stefano Pietrodarchi auf dem Bandoneon begleitet. Ganz unverkrampft singt Schrott gemeinsam mit seiner Frau Lippen schweigen, und das Publikum genießt das sichtlich, den beiden beim Kuscheln und Küssen zuzusehen. Ramon Vargas gestaltet Una furtiva lagrima mit jener romantischen Grundstimmung und jenem tenoralem Schmelz, die man bei so einem Open Air-Abend unbedingt erleben möchte. Bei seiner fulminanten Zugabe Granada reißt er das Publikum fast von den Sitzen. Und wie schön es ist, wenn sich diese drei Stimmen über dem satten Klang des Orchesters verbinden, beweist das Finalterzett aus Gounods Faust. Die Ovationen des Publikums kann man nur als stürmisch bezeichnen.

Das Programm bietet erheblich mehr als klassischen Mainstream. Luisa Miller, Adriana Lecouvreur, I Vespri Siciliani und I Lombardi offenbaren auch für einen Open-air-Abend nahezu unbekannte Perlen der Musik, mit denen man Zuschauer begeistern kann, und die sich mit bekannten und geliebten Melodien mischen. Eine runde Sache.

Christoph Broermann, 2.6.2012

 


Das Münsteraner Schloss bietet die
richtige Kulisse für einen großen
Arienabend.


Marco Armiliato führt die Neue
Philharmonie Westfalen vergnügt
und sicher durch den Abend.


Anna Netrebko kann sich in der zweiten
Hälfte des Abends richtig entfalten.


Erwin Schrott gefällt sich in der Pose
des Latin lovers. Dem Publikum gefällt
in erster Linie die stimmliche Leistung.


Ramon Vargas springt für Jonas
Kaufmann ein und entzückt trotz
überflüssigen Sängerstreits.