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Mehr Wissen über Wagner


 
 

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Wagner-Gelehrte in Reihe

Die Zeit der großen Wagner-Aufführungen in Münster liegt zu kurz zurück, um sie zum Jubiläum wieder aufzuwärmen. Das Theater Münster hat eine bessere Alternative, sich mit Wagner auseinanderzusetzen. In der Reihe Gelehrte im Theater bieten sechzehn spannende Vorträge einen Rundumschlag durch das weite Wagner-Universum. Unter den Dozenten finden sich Namen wie Udo Bermbach, Jens Malte Fischer und Peter Sloterdijk.

Am Muttertags-Sonntag geht Jürgen Kesting auf die Suche nach dem „vaterländischen Belcanto“ und präsentiert seine Ergebnisse in einem hochinteressanten Vortrag. Nach zwei Stunden aus Fakten, Erklärungen, Zitaten und Hörbeispielen ist der Wagner-Gesang auf jeden Fall noch schwieriger als zuvor. Jürgen Kesting beginnt bei dem Werk, das wie kein zweites dazu geeignet ist, Wagners Vorstellungen vom Belcanto aufzuzeigen. Ja, hätte ich es nur selber zum Sänger gebracht singt der Lehrbube David in den Meistersingern von Nürnberg und hält einen Vortrag über der Meister Tön und Weisen. Kunst erklärt Kunst – so einfach könnte das sein, wenn da nicht noch die Sprache wäre, auf die Wagner zum Verständnis des Dramas besonderen Wert gelegt hat. Und nicht zu vergessen: die dramatische Musik selber. Wo Wagners Antipode Verdi für die Stimmen der ihm bekannten Sänger schreibt, muss sich der Sänger in Wagners Musik hineinentwickeln. Kesting erzählt das alles flüssig abgelesen mit Kontakt zum Publikum. Zwischendurch setzt er die Lesebrille ab, um die ein oder andere Stelle mit einer Anekdote zu würzen. Etwa von der Isolde , die an der Met drei verschiedene Tristans brauchte – an einem Opernabend. Oder von Tenor Peter Schreier, der Herbert von Karajan glücklich machte, als er bei der Meistersinger-Aufnahme nur einen einzigen Versuch brauchte, um die Lehrstunde des David einzusingen. Aufgelockert wird der Vortrag durch viele Zitate, die aber nicht Kesting vorliest. Dafür ist der Schauspieler Frank Peter Dettmann anwesend, der ganz auf Zack passend einsetzen muss.

Kesting ruht sich nicht bei historischen Details aus, sondern vermittelt ohne die Attitüde eines Oberlehrers viel Wissen. Interessant ist sein Bericht vom Luftdruck, den Wagner-Sänger theoretisch brauchen, um die Töne über das volle Orchester zu posaunen. Damit verbunden ist die Feststellung, dass manch schlanker Modellkörper gar nicht die physischen Voraussetzungen für Wagner mit sich bringt. An vielen Musikbeispielen aus der Vergangenheit erklärt Kesting, wie man Wagner singen sollte. Aus der Gegenwart kommt nur Tenor Klaus Florian Vogt zur positiven akustischen Einlage. Es geht auch negativ: Eine Sopranistin stemmt sich durch Ortruds Entweihte Götter, und Kesting setzt nach: „So kann man sich heiser hören“. Doch ihren Namen will Kesting nicht nennen. Überraschend zahm ist der große Kritiker an diesem Vormittag, und nur auf spezielle Nachfrage rückt er mit Kritik heraus. Doch die trifft weniger die Sänger, sondern vor allem das System. Kritik haben sich auch einige Zuhörer verdient, denn ab Punkt ein Uhr gibt es den ersten großen Exodus zum Mittagessen. Zugegeben dauert Kestings Vortrag noch ein Weilchen, aber bei so vielen interessanten Informationen darf es auch etwas länger sein.

Der geheime Schrank

Zu Beginn eines deutlich kürzeren Vortrags bekommt Organisator Wolfgang Türk Lob aus Wagner-Mund für die abwechslungsreiche Reihe. Zu Gast ist Nike Wagner, Ur-Urenkelin von Franz Liszt, Urenkelin von Richard Wagner, Enkelin von Siegfried Wagner und Tochter von Wieland Wagner. Unter der Überschrift Kunst, Geld, Ideologie unternimmt sie einen Streifzug durch die Geschichte der Bayreuther Festspiele. Zahlreiche Zuschauer sind – so zeigen es die Nachfragen nach dem einstündigen Vortrag – an zwei Themen interessiert. Zum einen an der Zeit des Nationalsozialismus, festgemacht an der Person Winifred Wagners. Nike Wagner geht offen darauf ein und erklärt Winifred Wagners Sympathie für Adolf Hitler als eine „mentale Schizophrenie“. Sicher ist sich Nike Wagner, dass der Inhalt eines Archivschrankes, der verschlossen in Bayreuth steht, keine großartig neuen Erkenntnisse über die Wagner-Familie in der Nazi-Zeit geben wird. Dennoch stößt die Geschichte vom Schrank auf großes Interesse. Dass es irgendwo vielleicht auch kompromittierende Dokumente von und über Wolfgang Wagner gibt, hält Nike Wagner für unwahrscheinlich. Sie weiß, dass der ehemalige Festspielleiter, den sie einen homo politicus nennt, gerne ab und an kleine Feuer in seinem Hof gemacht hat.

Zum anderen erhoffen sich viele eine kleine Abrechnung mit der heutigen Festspielleitung, mit ihren Cousinen Katharina und Eva Wagner. Doch darauf müssen die Zuhörer lange warten. Zu Beginn gibt es einen kleinen augenzwinkernden Seitenhieb, dass seit 2009 die sommerlichen Familien-Scharmützel in der Presse stark nachgelassen haben. Wenn sie mit ihrem Geschichtsstreifzug die Ära Wolfgang Wagner erreicht, wird der Ton doch etwas rauer: Geist und Buchstabe des Bayreuther Werkstatt-Gedankens klaffen bei ihm weit auseinander. Unter der Aufsicht seiner Töchter stimmt in beiden Bereichen so ziemlich nichts mehr. Hinter der Pflege des Mythos verbirgt sich die Ratlosigkeit darüber, was mit Wagner heute anzufangen ist. Doch Nike Wagner bekennt sich auch dazu, dass es einige spannende Inszenierungen in den letzten Jahren gab: Zum Beispiel den Lohengrin von Hans Neuenfels, oder Stefan Herheims Parsifal. Das seien allerdings Zufallstreffer. Dass Nike Wagner auf Nachfrage in der Brüderrivalität zwischen Wieland und Wolfgang sehr dezent Partei für ihren kreativen Vater ergreift, überrascht keinen. Dass einige Zuhörer vor allem in diesen Momenten sehr aufmerksam sind, während sie ansonsten mit gesenkten Lidern vor sich hin dösen, zeigt das Desinteresse an den Zusammenhängen.

Doch ansonsten ist von Desinteresse keine Spur: Eigentlich wäre der Vortrag Wagners der krönende Abschluss der Reihe gewesen. Doch Wolfgang Türk hat noch einen Nachschlag anzubieten: Kurzfristig hat sich der Kulturhistoriker Manfred Osten zum Thema Wagner und Goethe angemeldet. Münster kann somit mit Fug und Recht behaupten: Wagner – durchaus studiert mit heißem Bemüh ‘n.

Christoph Broermann, 7.7.2013

 

Jürgen Kesting


Buchautor und "Stimmenpapst" Jürgen Kesting hat sich en detail mit dem "vaterländischen Belcanto" beschäftigt (5'40).


Nike Wagner


Nike Wagner arbeitet als Festival-Leiterin, berichtet aber gern auch schon mal über die eigene Familiengeschichte (5'22).