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Oper im Kino


 
 

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Telegene Oper im Aufwind

Seit die Metropolitan Opera 2007, beginnend mit Romeo und Julia, ihre Opern weltweit in die Kinos brachte, gehören die Live-Übertragungen in hochwertiger Bild- und Tonqualität für viele zum festen Bestandteil ihres privaten Opernspielplans. Seit gut zwei Jahren hat die Met auf dem Kinomarkt Konkurrenz durch die Opernhäuser in London und Paris bekommen, was das Angebot deutlich erweitert hat. Zeit, einen Blick auf das Kinogeschäft mit der Oper zu werfen.

Es ist eine Atmosphäre, wie man sie vor jeder Vorstellung kennt. Schnittchen werden gereicht, Programmzettel gelesen und der Sekt sprudelt in Gläsern. Doch von den Wänden schauen nicht ehrwürdige Kunstwerke hinab, sondern die aktuellen Kinoplakate. Und wenn der Gong ertönt, geht man nicht in ein Opernhaus mit Orchester, sondern in das Lichtspieltheater. Mittlerweile gehören Übertragungen ins Kino zum guten Ton der Oper. Selbst das Theater Nürnberg hat schon die Annehmlichkeit einer großen Leinwand und leistungsstarker Lautsprecher genutzt. Auch Bayreuth öffnet seine verschlossenen Türen für Live-Übertragungen. Richtig ins Rollen gebracht wurde dieses Format, als Peter Gelb die Leitung der Metropolitan Opera in New York übernahm und regelmäßige Übertragungen weltweit einrichtete. Anna Netrebko und Roberto Alagna standen als erstes tragisches Liebespaar Romeo und Julia auf der Kino-Bühne in Deutschland und ihnen sollten noch viele weitere folgen. Die Anzahl der ausgewählten Opern, die aus dem Spielplan der Met übertragen wird, steigt stetig an. Zahlreich sind auch die Zuschauer, die sich ein Ticket kaufen, das trotz steigender Preise immer noch günstiger ist, als das Taxi zum Flugzeug, das einen nach New York bringt. Dabei hängen die Besucherzahlen natürlich auf der einen Seite stark vom Werk ab. Dass ein Herr der Ringe mit fast vier Stunden für ausverkaufte Säle sorgt, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass ähnlich lange oder sogar längere Opernformate den gleichen Effekt haben. Auf der anderen Seite können medienwirksame Sänger wie Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann auch unbekannteren oder weniger geliebten Werken plötzlich zur großen Nachfrage verhelfen. Trotzdem wirft ein Blick auf die Auswahl der Stücke, die in die Ehre kommen, übertragen zu werden, Fragen auf. In der kommenden, siebten Saison steht erst das zweite Mal eine Mozart-Oper auf dem Programm. Richard Strauss wird nahezu ausgeblendet. Besser ist es um das italienische Belcanto-Fach von Rossini und Donizetti bestellt. Dass Wagner und Verdi wegen ihrer Jubiläen derzeit hoch im Kurs sind, ist verständlich. Weniger verständlich ist, warum in der kommenden Saison gleich drei Werke – Tosca, La Bohème und La Cenerentola – auf dem Programm stehen, die die Met schon in der gleichen Inszenierung gezeigt hat, wenn auch in einer anderen Besetzung. Der Eindruck, dass die Met vor allem auf die Publikumsrenner der Opern setzt, wird dadurch ein wenig relativiert, dass mit Prinz Igor und Die Nase zwei sehr unbekannte Werke ausgewählt wurden.

Ansgar Esch, Geschäftsführer des Cineplex Münster, das mit Ausnahme einer Saison von Beginn an die Opern überträgt, ist gespannt, wie der neue Spielplan in Münster angenommen wird. Denn die Auslastung in dem Kinokomplex ist seit Jahren sehr gut. Die Nachfrage ist sogar gestiegen, seit weitere klassische Programme ins Kino gekommen sind. Auch aus Paris und London werden mittlerweile recht regelmäßig Opern übertragen, allerdings zu eher ungünstigen Zeiten. Nur die ganz harten Opernfans oder die, die viel Zeit haben, gehen unter der Woche um acht Uhr abends ins Kino für eine Übertragung, die bis kurz vor Mitternacht dauert. Von Konkurrenz zur Met möchte Esch nicht sprechen: „Ich denke, dass die Met konkurrenzlos ist. Die Übertragungen aus den anderen Häusern sehe ich eher als eine Ergänzung und Zusatzangebot für die Opernliebhaber.“ In der Tat zeigt die Auslastung, dass es bei den Übertragungen aus Paris noch mehr auf die Zugkraft der Oper ankommt. So blieben Falstaff und Les contes d’Hoffmann weit hinter den Besucherzahlen von Hänsel und Gretel zurück. In Münster werden die Übertragungen aus den anderen Opernhäusern daher gleich in ein einem kleineren Saal im Cineplex oder im kleinen, aber feinen Schlosstheater gezeigt. Der lukrative Termin am Samstagabend dürfte also weiterhin fest in der Hand der Met bleiben, auch wenn das Royal Opera House und die Opéra National die gleiche Qualität bieten. Ein Grund für die Dominanz der Met auf diesem Sektor liegt in der technischen Seite. „Von der Met und ihren technischen Dienstleistern gibt es sehr klare Spezifikationen, was die technische Ausstattung des Kinos hinsichtlich der Übertragungstechnik angeht. Hier haben wir im Laufe der Jahre auch noch immer weiter investiert, um redundante und möglichst ausfallsichere Systeme zu installieren. Im Grunde genommen gilt das Gleiche für die anderen Opernanbieter auch, die Standards hat allerdings die Met gesetzt, die ganz klar der Vorreiter im Bereich der Live-Kinoübertragungen war. Die anderen können sich jetzt sozusagen an die in den Kinos geschaffene Infrastruktur anhängen“, erklärt Geschäftsführer Esch.

Hürden als Herausforderung

Die technische Qualität einer Übertragung kann man einerseits an dem Datenstrom ermessen, der vom Sender zum Empfänger geleitet wird. Da kann es allein schon wetterbedingt zu Aussetzern in Ton und Bild kommen, die je nach Wetterlage sogar innerhalb Deutschlands stärker oder schwächer ausfallen können. Anderseits ist für die Qualität einer Übertragung auch das maßgeblich, was und wie im Theater aufgenommen wird. An dieser Stelle wird die Met ihrer Vorreiterposition nur selten gerecht. Zwar bieten diverse Kameras schöne Blickwinkel auf das Geschehen, doch mit den Schnitten hapert es gewaltig. Nur selten gelingt es dem diensthabenden Aufnahme-Regisseur, eine Oper optisch so zu präsentieren, dass sie nicht an ein Fußballspiel erinnert. Ungenaue Zoom-Einstellungen und hektische Bildwechsel sind auch im Filmgeschäft nicht gern gesehen. Mit Rücksicht auf Sänger und die Ästhetik des Bildes verbieten sich Nahaufnahmen von frontalen Einsichten in den weitgeöffneten Mund der Diva und von verschwitzten Opernhelden – Singen ist eben harte Arbeit. Natürlich kann man in New York auch anders mit der Oper umgehen. Noch heute schwärmen einige Besucher von Tristan und Isolde, die 2008 übertragen wurde. Da entdeckte man, dass man mit dem Bild noch viel mehr experimentieren kann. Zu Wagners langen Melodiebögen wurde sehr intelligent der Splitscreen, der geteilte Bildschirm, eingesetzt, um verschiedene Reaktionen auf der Bühne gleichzeitig einzufangen. Bis heute bleiben diese Möglichkeiten leider oft ungenutzt, die bei professioneller Umsetzung sicher eine Bereicherung darstellen würden. Wie man eine Oper nahezu perfekt aufzeichnen kann, demonstrierte kürzlich die Royal Opera Covent Garden in London bei der Übertragung von Eugen Onegin.

Am Übertragungston wird in New York konsequent gearbeitet. Wenn Schwierigkeiten mit den Mikrofonen auftreten, werden diese spätestens in der Pause ausgeräumt. Den Verantwortlichen scheint bewusst zu sein, dass ein unsauberer Ton für die Opernbesucher den schlimmsten Fall darstellen kann. Nicht zu unterschätzen ist das Rahmenprogramm bei einer Kino-Übertragung. Das kann unter Umständen auch ziemlich peinlich ausfallen, wenn man keinen adäquaten Moderator zur Verfügung hat. Zu erleben sind solche verzweifelten Versuche regelmäßig beim Fernsehsender Arte. Auch Katharina Wagner hat sich an ihren Versuchen, eine Live-Übertragung aus Bayreuth zu moderieren, gründlich verhoben. Für die Übertragungen aus Paris und London setzt man als Rahmenprogramm auf vorbereitete Interviews. Das hat den Vorteil, dass man diesen Beiträgen mit deutschen Untertiteln folgen kann. In New York moderiert in bester Strahlemann-Manier ein Starsänger und führt die Interviews mit den Kollegen in den Pausen. Für deren Verständnis sollte man rudimentäre Kenntnisse des Englischen besitzen.

Alles in allem ist ein Opernbesuch im Kino recht entspannend. Mit kleinen Abstrichen partizipiert der Zuschauer an der Live-Atmosphäre im Opernhaus, ohne dorthin reisen zu müssen. Gleichzeitig geht es im Kino ein bisschen lockerer zu als im Auditorium des Theaters. Bekleidungstechnisch muss man nicht den größten Aufwand betreiben. Eine Cola während der Vorstellung im Theater zu trinken, ist für viele undenkbar. Im Kino ist das fast selbstverständlich. Zwei verschiedene Fraktionen haben sich im Publikum breit gemacht. Die eine lehnt rigoros alle Verköstigungsangebote ab, schließlich ist man ja in der Oper. Die andere sieht das Ganze als Kinovorstellung und genießt Getränke und Essen zur Kunst. Doch schleichen sich dabei zunehmend die schlechten Gewohnheiten einiger Kinobesucher ein. Reden, Schmatzen und Schlürfen sind partout nicht erwünscht – egal, ob man gerade einen Film schaut oder eine Oper.

So erfolgreich die Opernübertragungen auch angenommen werden, bergen sie für die Kinos auch einige Risiken: „Für diese Übertragungen fallen in der Regel mindestens drei Vorstellungen im größten Saal aus – und das an unserem mit Abstand stärksten Spieltag. Wenn dann zeitgleich auch noch extrem besucherstarke Filme starten, haben wir tatsächlich manchmal große Probleme, auch unseren Verleihpartnern gegenüber unsere Verpflichtungen zu erfüllen. Und manchmal kompensieren die Übertragungen dann finanziell nicht einmal die Ausfälle, da durch Dinge wie Satellitentests und erhöhten Personaleinsatz während der Veranstaltung auch noch weitere zusätzliche Kosten für uns entstehen“, erklärt Ansgar Esch. Auf der anderen Seite freut er sich sehr darüber, dass durch die Oper auch Besucher vorbeikommen, die sonst eher gar nicht oder selten ins Kino gehen. „Dieses Feedback habe ich schon häufig von Opernbesuchern bekommen. Viele waren ganz überrascht und angetan davon, dass ein großes Kino wie das Cineplex so etwas anbietet. Und vielleicht kommen einige dieser Besucher ja demnächst auch einmal für einen schönen Film wieder.“ Für Peter Gelb, Chef der Met, rechnen sich die Übertragungen auf jeden Fall. „Die Met in den Kinos ist finanziell erfolgreich. Wir investieren 1,2 Millionen Dollar pro Vorstellung und streichen 2,5 Millionen Dollar am Abend ein“, sagt er.

Den einen Gewinner gibt es nicht

Es bleibt abschließend die Frage, ob man der Oper im Kino den Vorzug geben sollte vor dem Besuch im heimischen Theater. An sich kann man diese beiden Erlebnisse kaum miteinander vergleichen. Wer die Übertragungen der großen Opernhäuser vorzieht, weil dort ja die medienpräsenten Sänger auftreten, übersieht, dass an den scheinbar unfehlbaren Musentempeln auch nur mit musikalischem Wasser gekocht wird. Aber: Über die Leinwand wird man jede noch so gute Aufführung nie in der Intensität erleben wie live vor Ort, wenn sich die Augen selbst das Ziel auf der Bühne suchen können und man die Atmosphäre auf der Haut spüren kann. Immer wieder zaghaft aufflackernder Applaus im Kino zeigt aber auch, dass einige das Bedürfnis haben, ihre Begeisterung mitzuteilen. Die Kinoübertragungen sind ein recht junger und guter Bestandteil der Kultur, der beweist, dass sich die Opernwelt stetig voran entwickelt und Möglichkeiten findet, möglichst viele Besucher an der Oper teilhaben zulassen.

Auch das Internet und die Fernsehanstalten beschreiten diesen Weg immer konsequenter. Gerade in der Nutzung des Internets stehen Opernhäuser noch am Anfang. Immerhin kann man mittlerweile über viele Seiten, einige davon sind kostenpflichtig, Opernaufführungen verfolgen. Aber wo bleibt beispielsweise der Opernkanal für das Smartphone? Die Bayerische Staatsoper München hat schon eine eigene Reihe für die Online-Übertragungen ins Leben gerufen. Die Wiener Staatsoper will noch in diesem Herbst nachziehen. Hier liegt die große Gefahr in der Überlastung des Angebots, wenn zu viele gleichzeitig darauf zurückgreifen. Auch die eigene PC-Ausstattung und der Internet-Anbieter spielen für den Genussgrad am Monitor eine entscheidende Rolle. Entwickelt haben sich diese beiden Formate aus den Übertragungen im Fernsehen. Hier wurde schon des Öfteren bewiesen, dass weniger manchmal mehr ist. So schöpfte beispielsweise die Oper Zürich bei einer Tannhäuser-Übertragung mit vollen Händen aus dem Backstage-Kamera-Material, so dass man im dritten Akt nicht mehr sah, wie Wolfram sein Lied an den Abendstern sang, sondern wie Tannhäuser sich für seinen nächsten Auftritt bereit machte. Wie weit man multimedial gehen kann, probierte im Sommer vergangenen Jahres die Oper Stuttgart aus, als sie über verschiedenste Anbieter – vom Public Viewing bis zum Backstage-Kanal im TV – Mozarts Don Giovanni übertrug. Wie leicht das von locker-seriös präsentierter Kultur in albernen Humor umschlagen kann, bewies damals Harald Schmidt als Moderator.

Wie auch immer man Oper in den Medien präsentiert: Sie darf nicht zur Zurschaustellung von großen Egos verkommen, sondern muss sich zeitgemäß, offen und anspruchsvoll mit dem Werk auseinandersetzen.

Christoph Broermann, 6.8.2013

 


Opernübertragungen im Kino werden
auch beim Publikum immer beliebter.


Inzwischen geht es differenzierter:
Nicht jede Leitung der Met geht
automatisch in den größten Saal der
Kinos.


Die Übertragung von Eugen Onegin
aus Royal Opera Covent Garden setzte
Maßstäbe.


Aida als Hollywood-Szenarium: Die
Übertragungen werden auch aus Sicht
der Kamera-Regie professioneller.


Sorgfältig und fantasievoll eingesetzt,
kommt der so genannte Splitscreen
wieder zu Ehren - sehr selten
allerdings.

Fotos: Cineplex Münster, Metropolitan Opera New York, Royal Opera Covent Garden, London, Opernnetz